Die Würde der Doktoren

Gestern erhielt ich eine Mail in Bezug auf den erneuten Fall einer Aberkennung der Doktorwürde bei einer Person des öffentlichen Lebens, in der es heißt:

„Über vielen Tausenden hängt jetzt möglicherweise das Damoklesschwert des Verlustes der Promotion, was vermutlich auch ein nicht unerhebliches Erpressungspotential zur Folge hat, besonders wenn es keine Verjährungsfrist gibt.“

Damit sind die drei Kernaussagen zu diesem Thema wohl treffend skizziert, wenn auch dramatisch zugespitzt. Ich werde im Folgenden zu jedem dieser Aspekte ein paar Gedanken zusammenfassen.


Der „Mobneid“

Es wird wohl keiner aus redlichem Interesse oder gar zur Wahrung eines Bildungsideals Doktorarbeiten und Habilitationen durchsehen und deren Zitationsweise überprüfen.  Eine solche Arbeit ist in aller Regel durch persönliches Interesse motiviert, sei es politischer, weltanschaulicher oder privater Natur. Dass sich nun also Tausende berechtigt fürchten, scheint mir eher unwahrscheinlich, solange sie keine persönlichen Konkurrenten oder Neider um sich scharen.

Für ein Verfahren wie das derzeit diskutierte, dürfte an Universitäten allein aus Personalmangel nicht im großen Stil zu denken sein, ganz abgesehen vom Aspekt der Nestbeschmutzung, da die Arbeiten ja von den jeweiligen Prüfern mit zu verantworten sind.

Ganz anders verhält es sich jedoch im Hinblick auf die stetig fortschreitende Technisierung, die mit einer immer effektiveren Vernetzung einhergeht. Vermutlich dürfte zukünftig gar kein Aufwand mehr entstehen, wenn in digitalisierten Werken automatisch nach Quellen, Duplikaten oder stilistischen Auffälligkeiten gesucht werden soll. Ein Leichtes wäre es dann auch, durch standardisierte Raster Arbeiten ohne weitere Prüfung zu klassifizieren.

Wenn auf eine solche Weise jeder Internetuser nur noch auf einen Knopf zu drücken braucht um eine Arbeit zu prüfen, wenn er dabei selbst über keinerlei Expertise verfügen muss und allein der Neid ausreicht um sich als Kämpfer für die Ehre der Wissenschaft auszugeben, dann dürfte tatsächlich stark gesiebt werden. Angst braucht aber auch dann niemand zu haben, denn wenn man als einer unter Vielen den Titel verliert, dann kräht irgendwann auch kein Hahn mehr danach.

Die „Titelgeilheit“

Machen wir uns nichts vor: Auch wenn es überall heißt es käme auf persönliche Fähigkeiten an, öffnet ein Doktortitel Tore, die für andere selbst bei höherer Qualifikation meist verschlossen bleiben. Ein akademischer Grad scheint im Bewusstsein Vieler für Qualität zu bürgen. Tatsächlich aber sind Papiere nie eine Garantie für erbrachte Leistungen.

Füllt jemand eine Position nicht aus, die er durch seinen Titel erhalten hat, mag die Furcht vor einer Degradierung berechtigt sein, auch wenn er heute noch davon ausgehen kann, dass ihn der Stempel der Universität über jeden Zweifel erhebt. Andererseits sollte die Furcht eher unberechtigt sein, wenn jemand seine Arbeit anständig erledigt – egal, ob er nun einen Titel trägt, oder nicht.

Spielraum für Erpressungen sehe ich vor allem im ersten Fall, denn wer im Zuge der Ausbildung aufgrund vorhandener Kenntnisse ausgezeichnet wurde, verfügt auch beim Nachweis von Formfehlern in seiner Arbeit weiterhin über das erlangte Wissen. Wer aber seine Promotionsurkunde einem Schild gleich vor sich her trägt um ein dahinter befindliches Vakuum zu schützen, kann leicht unter Druck gesetzt werden.

In jedem Fall täten Firmen und Institutionen gut daran, weniger Wert auf ein Papier zu legen und sich ihre Mitarbeiter mehr nach persönlicher Qualifikation auszuwählen; so würde den meisten Erpressungen effektiv der Boden entzogen.

Der „Lorbeerthron“

Natürlich mutet eine fehlende Verjährung in unserem Rechtsystem seltsam an. Doch kann man sich auch anders fragen, warum eine Promotion von vor 30 Jahren heute noch Gültigkeit hat. Gerade in den Naturwissenschaften ändert sich über die Jahrzehnte hinweg derart viel, dass sich die Aussagekraft einer Doktorarbeit irgendwann nur noch darauf beschränkt, dass sich jemand über einen gewissen Zeitraum erfolgreich mit einem Thema befasst hat und er dieses gekonnt schriftlich aufbereitet hat. Anders gesagt: Doktoren waren einmal in der Lage, einen langen Text zu schreiben.

Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, kann später trotz einmal erbrachter hervorragender Leistung den Anschluss völlig verpasst haben. Das hindert ihn natürlich nicht daran, sich dennoch als Doktor zu bewerben.

Eine Verjährungsfrist könnte man aus diesem Grunde auch anders verstehen: Wer seinen Titel nicht regelmäßig aktualisiert erhält eine Abstufung. Diese wäre dann vor juristischen Anfechtungen geschützt, auf dem Markt der Eitelkeiten aber auch nicht mehr die erste Wahl.

Thod Verfasst von:

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.