Dogville, Lars v. Trier

Eine Kurzrezesion. 

Seltsam dass in den heutigen, für religiöse Fragen doch angeblich sensibleren Zeiten, der religiöse Hintergrund des Filmes kaum dargestellt wird. Ich möchte diese Rezension darum benutzen, ein paar Ansätze aufzuzeigen, wie man Filmthemen aus Dogville in christlicher Hinsicht vertiefen kann. Im Grunde drängt sich dies ja auch direkt auf, selbst wenn man den Lebenslauf des Autoren und Regisseurs nicht berücksichtigt.

Ein in diesem Zusammenhang besonders beeindruckendes Filmzitat ist folgendes:

‚„So wie Dogville sich frei zugänglich auf der zerbrechlichen Felsplatte am Bergkamm ungeschützt den launischen Stürmen darbot, so bot sich auch Grace dar. Und so hing sie an einem dünnen Stiel, wie der Apfel im Garten Eden. Ein Apfel, so prall, dass der Saft gerade heraus lief.“

Dogville ist der erste Teil der Amerikatrilogie von Lars von Trier. In einem einsamen, romantischen Bergdorf inmitten der Rocky Mountains, bewohnt von ehrlichen, hart arbeitenden Menschen, entwickelt sich ein faszinierendes und gleichzeitig beängstigendes Drama, welches unweigerlich auf eine Apokalypse zusteuert.

Ausgangspunkt der Geschichte ist die verwaiste Kapelle, in der seit langem kein Geistlicher mehr Dienst tut, die aber als Versammlungsort der Einwohner ab und an genutzt wird. Ein Müßiggänger aus reicherem Haus, der sich selbst Philosoph nennt, versucht dort, seine Vorstellungen einer weltlichen Ethik an den Bewohnern auszuprobieren, indem er ihnen, wie er es nennt, „einen Spiegel vorhält“.

Sicher geht man nicht zu weit, in dieser Darstellung eine Anlehnung an die Situation der Kirche heute zu sehen, in welcher Menschen zwar aus Tradition (oder weil sie nichts verpassen wollen) anwesend sind, deren Programm aber mit christlicher Verkündigung nicht mehr viel zu tun hat, und die nur allzu häufig zum ethischen Experimentierfeld selbsternannter Prediger geworden ist.

Der Film führt diese Problematik auf zwei Weisen aus – erzählerisch und musikalisch.

So durchzieht ihn als künstlerisches Thema Vivaldis „nisi dominus“, worauf der Zuschauer in besonderem Masse verwiesen ist, da durch die Reduktion optischer Reize die Musik einen ganz besonderen Stellenwert erhält. „Nisi dominus“ verleiht dem Film nicht nur eine dramatische Note, sondern gibt schon gleich von Anfang an einen Hinweis zur Auflösung des Themas im Göttlichen.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt:

Dogville ist, wie es heisst, von lauter braven Leuten bewohnt. Man geht seiner geregelten Arbeit nach, hilft sich in der Nachbarschaft aus und ist ansonsten lieber unter sich. Zwar hat jeder so seine Eigenheiten, aber im Gemeinwesen stört sich niemand wirklich am anderen – einzig Tom, der schon erwähnte „Philosoph“ empfindet diese „Kleinbürgerlichkeit“ als zu eng und und ist bestrebt, das schläfrige Dorf zu erwecken – natürlich nicht durch eigenes Opfer, sondern um anschließend die Lorbeeren der Anerkennung zu geniessen.

Unerwartet, wie ein Geschenk, betritt zum rechten Zeitpunkt um Tom als Experiment zu dienen, eine flüchtige Frau (Grace) die Bühne.

Im Folgenden werden dann die Auswirkungen der christlichen Ur- und Hauptsünde, des Hochmutes, durchexerziert:

– Im Dorf genügt sich erst jeder selbst, jedoch will sich keiner nachsagen lassen, er würde der Flüchtigen nicht helfen wollen. Als diese Hilfe jedoch später in den Ruf der Ungesetzlichkeit driftet, da Grace von der Polizei gesucht wird, werden mehr und mehr, unter dem Vorwand der Hilfe, Ansprüche auf Ausgleich des Risikos laut und Grace wird zunehmend, bis aufs Unerträgliche ausgebeutet – immer im Bewusstsein der Leute, ihr letztlich doch helfen zu wollen.

– Tom, Graces Protégé, zeigt seine hochmütigen Ambitionen wohl am deutlichsten. Sein Motiv zur Hilfe ist es, später berühmt zu werden und seinen Mitbewohnern einen Spiegel vorhalten zu können, um sie moralisch zu läutern. Sehr interessant ist hier auch, dass er sich durchaus selbst mit moralischen Ansprüchen quält, um sein Ziel zu erreichen. Doch hilft ihm keine Enthaltsamkeit, wenn er dadurch vor allem seine Arroganz stärkt, mit der er sowohl Grace als auch die Dorfbewohner für seine Karriere einspannt. Als ihm dies aufgeht, geht er folgerichtig auch nicht in sich, sondern versucht seinen Makel zu vertuschen, indem er sich Grace zu entledigen sucht.

– Schließlich stellt sich auch Grace, die vorerst wie ein Engel auftritt und christusgleich alle Schmach der Dorfbewohner incl. Tom unschuldig über sich ergehen lässt, als nur allzu menschlich heraus. Dem Hochmut eines reichen, im organisierten Verbrechen eine führende Rolle spielenden Vaterhauses entweichend, hat sie in Dogville versucht, sich allem und jedem unterzuordnen – und gerade dadurch, indem sie sich kleiner machte als alle anderen, entlarvt sie sich als die Hochmütigste von allen, wie ihr Vater ihr in einem dramatischen Schlusswort verdeutlicht: Wer sich als Mensch über alle Fehler anderer hinwegsetzt, alles und jeden entschuldigt, nimmt den anderen ihre moralische Verantwortung – er degradiert sie geradezu und nimmt ihnen das, was sie zum Menschen macht. Indem Grace alles erduldet und für jeden eine Entschuldigung findet, stellt sie sich als die einzig Schuldfähige gleichsam über alle anderen: eine Rolle, die den Bogen zum genannten „nisi dominus“ von Vivaldi eindrucksvoll schließt.

So ist es auch konsequent zu Ende geführt, wenn sie am Schluss des Filmes wieder Mensch wird und um „die Welt ein bisschen besser zu machen“ das Dorf gleich einem Genozid vernichten lässt.

Fazit

Zwei Aspekte haben mich wohl am meisten beeindruckt:

– Zum einen läuft der Film in meisterhafter Weise (dramaturgisch, erzählerisch und künstlerisch) auf das durch die christliche Erbsündenlehre dargestellte Problem hinaus, dass wir letztlich die Welt nicht erlösen können. Was wir auch machen, es ist letztlich falsch. Einerseits ist es Hybris und nimmt den Menschen alle Freiheit, wenn wir an Christi Stelle sämtliches Leid auf uns nehmen wollen. Versuchen wir aber vor allem unsere menschliche Gerechtigkeit walten zu lassen, endet das in letzter Konsequenz in einem Blutbad.

– Das Blutbad wiederum knüpft in erschreckender Weise an einen zweiten mich tief beeindruckenden Aspekt an, nämlich den Reaktionen auf den Film. Nicht wenige aufgeklärte Bürger, die sich mit Entschiedenheit und aller Kraft von geschichtlichen Phänomenen wie dem Holocaust distanzieren, waren auf einmal bereit, aus vollem Herzen Sympathie mit Graces finaler Entscheidung auszudrücken. …

Wohl auch darum ist mir ein Film selten derart nachgegangen und hat mich kaum so aufgewühlt. Für mich ist Dogville auf jeden Fall eine Ausnahmeerscheinung, von der ich kaum glauben kann, dass sie aus der Hand eines einzigen Menschen stammt. Wenn ich jemals Zweifel an den Möglichkeiten moderner Filmkunst hatte, so sind diese durch Dogville beseitigt.

Thod Verfasst von:

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.