Nicht erst seit es in Deutschland immer gefährlicher scheint den öffentlichen Nahverkehr zu benutzen, zählen Diskussionen über Ethik zu den beliebtesten Themen an Stammtischen und in den Medien. Meist wird dabei der Ruf nach einer Besinnung auf traditionelle Werte des Abendlandes laut, worunter sich aber konkret kaum jemand etwas vorstellen kann. Noch diffuser wird es, wenn in diesem Kontext das Wort „christlich“ fällt …
Anlass zu diesem Eintrag ist der nebenstehende Rat aus dem Geo-Magazin vom April 2009, welcher an Menschenverachtung wohl nicht mehr zu überbieten ist. Dass hier quasi erklärt wird, Menschen sollten sich vor allem dann vermehren, wenn sie es sich finanziell nicht leisten können, regt zum Nachdenken über die Grundlagen von Ratschlägen in Zeitschriften und Magazinen an, die nicht nur dem Anspruch nach einen großen Einfluß auf die Meinung vieler Zeitgenossen ausüben und sich auf diese Weise selbstbewusst als Stütze der Demokratie sehen.
Die Debatte über Grundlagen der Ethik, wenn sie denn überhaupt geführt wird, dreht sich vornehmlich um das Einklagen von Menschenrechten, was natürlich auch am einfachsten ist: es ermöglicht den Zeigefinger gegen andere zu erheben, von eigenen Pflichten abzulenken und sichert einem in jeder Situation uneingeschränkte Zustimmung, denn wer würde gegen die Menschenrechte die Stimme zu erheben wagen? Worauf sich die Menschenrechte allerdings gründen, bleibt mehr als wage. Wer hat schon zu seiner Geburt etwas versprochen bekommen? Erst einmal hört sich das sicher großartig an, macht es doch den Rückgriff auf religiöse oder andere deontologische Normensysteme überflüssig. Doch wenn man in die nähere Geschichte sieht, fällt einem vor allem eines auf: Die Normen und Werte sind nicht mehr stabil – sie hängen stärker denn je vom Zeitgeist ab und beruhen nicht mehr in sich. Was früher sicher für einen Aufschrei gesorgt hätte, beispielsweise der erwähnte Geo-Beitrag, wird heute nicht einmal mehr zur Kenntnis genommen. Die diesseits orientierte Ethik, so kann man an vielen Beispielen festmachen, verwässert. Sie weicht auf, was vielerorts als „Werteverlust“ bezeichnet wird, was man aber eher mit „Wertewandel“ bezeichnen könnte, denn Werte bleiben in der Gesellschaft bestehen – es kommen sogar regelmäßig neue hinzu, wie sich besonders an umweltbezogenen Themen zeigt. Wozu also die Aufregung, möchte man fragen? Das Problem, was ich mit diesem Wandel der Normen habe, ist die Richtung, in die sich neue Normen bewegen. So werden alte Überzeugungen nicht über Bord geworfen, weil die neuen moralisch anspruchsvoller oder gar einsichtiger wären, sondern in erster Linie, weil ein Tabubruch das einstige Tabu mit der Zeit zur Normalität erklärt und als neue Tabus vorher völlig undenkbares nachrücken lässt, getreu dem Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Beispielhaft kann man dazu die Einstellung der Gesellschaft zur Definition des Menschen nehmen. Nicht allzu lang ist es her, dass man die spartanische Sitte, Neugeborene erst durch den Vater anzuerkennen und nicht ankerkannte Kinder dem Tode zu überlassen, als zu tiefst barbarisch empfand. Das menschliche Leben galt in christlichen Ländern derart als heilig, dass nicht nur zahlreiche pazifistische Strömungen entstanden sind, sondern beispielsweise auch der Boden für eine Abschaffung der Todesstrafe geebnet wurde – eine weltweit äusserst untypische Entwicklung in den Kulturen. Der hohe Stellenwert des menschichen Lebens allgemein geht vor allem auf das Gebot der Nächstenliebe zurück, welches weder Grenzen durch Völker, Kasten oder gesellschaftlichen Nutzen kennt. Heute ist diese Entwicklung jedoch wieder rückläufig. Sowohl die Abtreibungs- als auch die Euthanasiedebatte zeigen, dass unsere Gesellschaft durchaus wieder beginnt, das menschliche Leben zu relativieren: sei es, es dem persönlichen Entfaltungswillen stärker zu unterstellen, oder aber dem gesellschaftlichen Nutzen. Noch gilt eine postnatale Abtreibung als Tabu, ebenso wie eine Tötung älterer, der Gesellschaft zu teuer werdender Generationen. Der nebenstehende Vorschlag aber mag den Weg bereiten sich, ökologisch nicht tragbare und von einer Mehrheit der Menschen ungeliebter Bevölkerungsschichten zu entledigen. … |
Familienplanung als grüne Geste – bislang kannten wir das nur aus China. Dort bewirbt die Staatsführung ihre Ein-Kind-Politik neuerdings als Ökoprogramm, das mit entschärften Emissionsauflagen belohnt werden sollte. Kürzlich aber forderten Wissenschaftler im „British Medical Journal“ auch Europäer zur Enthaltsamkeit auf: Nicht mehr als zwei Kinder zu bekommen sei der wichtigste Beitrag, den wir zum Erhalt unseres Planeten leisten könnten.
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