Kategorie: Ethik & Moral

15. Dezember 2020

Stellen Sie sich vor, Sie wollen in ein Kloster eintreten; ein Leben in besonders enger Nachfolge Christi antreten.

Sie wollen enthaltsam leben, auf Ehe und Kinder verzichten. Sie lieben die Liturgie, die Nähe zu Christus im Sakrament, sie haben die Gemeinschaft kennen gelernt, erst im Postulat, dann im Noviziat, haben die zeitliche Profess abgelegt und können sich vorstellen, dem Orden ein ganzes Leben lang treu zu dienen.

21. April 2020

Was ich, da bin ich ehrlich, an den ganzen Corona-Szenarien noch nicht begriffen habe. Vielleicht kann man mir da ja mal präzise jemand meinen Denkfehler nachweisen.

Ich halte zwei Ausgangsthesen für sehr plausibel:

1. Es dauert eine Weile zwischen Ansteckung und ersten Symptomen, falls überhaupt welche auftreten.
2. Es waren häufig nur sehr wenige, wenn nicht sogar Einzelne, die in den unterschiedlichen Ländern der Erde für den Beginn der Ausbreitung gesorgt haben.

Ausgehend hiervon ist es also sehr wahrscheinlich, dass wenn auch nur sehr wenige infiziert sind, jeweils immer wieder erneut mit einer rasanten Ausbreitung zu rechnen ist.

Dass bei einer Vielzahl von Infizierten die meisten niemanden mehr anstecken, also die Infektionswahrscheinlichkeit geringer als eine Ansteckung pro Infiziertem ist (soll ja derzeit bei 0,7 liegen), kann also nur aufgrund geänderter äußerer Umstände (seien es natürliche oder staatliche vorgeschriebene) so sein. (Vorausgesetzt das Datenmaterial ist valide.)

Meines Wissens gibt es drei Szenarien, die für einen solchen Rückgang verantwortlich gemacht werden können:

1. Es wurde ein Impfstoff gefunden.
Das ist offensichtlich nicht der aktuelle Grund der Entwicklung, da dies nicht der Fall ist. Auch wenn es viele schon lange herbeibeten – die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen effektiven Impfstoff finden, halte ich für vernachlässigbar.

2. Herdenimmunität wurde erreicht.
Das ist der Fall, wenn, so sagt man, etwa 70% der Bevölkerung durch einen positiven Krankheitsverlauf, also mit anschließender Gesundung, immun sind. Damit würden Infizierte auf nur noch wenige infizierbare treffen und damit wäre eine weitere Verbreitung immer geringer. Es würde vermutlich zwar immer wieder zu Kreisen mit relativer Verbreitung kommen, aber im Ganzen wäre das dann zumindest kein Problem mehr für die Notfallstationen in den Krankenhäusern.

3. Die restriktiven Maßnahmen greifen.
Damit wird ja derzeit vermehrt argumentiert. Weil das Social-Distancing sowie die generellen Kontaktbeschränkungen greifen würden, wäre die Ausbreitung des Virus effektiv gestoppt worden.

Genau dieser dritte Punkt aber, wirft für mich in Bezug auf meine eingangs erwähnten Thesen Fragen auf. 

• Man hört vermehrt, dass die Infektionsrate auch dort fällt, wo die Restriktionen nicht, oder nicht in dem hiesigen Ausmaß, durchgesetzt wurden.

• Es wird sogar behauptet, die Infektionskurve wäre schon vor Ansetzen der Maßnahmen rückläufig gewesen.

• Bei Lockerung der Maßnahmen sollte sich das einleitende Ansteckungsszenario direkt wiederholen, selbst wenn es nur einen einzigen Infizierten gibt, der Kontakt zu noch nicht Infizierten hat.

Wer also auf dieses Szenario setzt, rechnet im Grunde mit einem dauerhaften Kontaktverbot und den ganzen damit zusammenhängenden Einschränkungen oder er macht sich was vor.

Ein viertes, mir am wahrscheinlichsten vorkommendes aber ansonsten tabuisiertes Szenario möchte ich noch erwähnen: Es handelt sich um ein mehr oder weniger natürliches Vorkommen einer Winterinfektion, wie sie in regelmäßigen Abständen immer wieder zu beobachten ist. 

Wir hatten vor Corona einen harten Infektionswinter. An Finja sind bei ihrer ersten Lungenentzündung 5 schwer infektiöse Keime festgestellt worden – hätte man mehr getestet, hätte man vermutlich mehr gefunden. Auch eine Großtante meiner Frau ist mit weit über 90 im Februar gestorben. Wer weiß – hätte sie es noch ein paar Wochen gemacht, wäre sie vielleicht ein Corona-Toter geworden.

Was für dieses Szenario spricht, ist für mich auch der Augenschein. Wir haben am Abend eine kleine Radtour gemacht – die beiden Großen und ich. Im Stadtpark haben wir Fußballer gesehen (ein halbes Duzend) und als wir an der Autobahn eine Nebenstrecke befuhren, haben wir eine Gruppe Jugendlicher mit Lauter Musik und Alkohol aufgeschreckt – bei den Autobahngeräuschen kaum zu bemerken. 

Es ist ein offenes Geheimnis, dass mittlerweile viele Familien unter der Hand Besuchszeiten und Kontakte auch für Kinder organisieren und überall findet man illegal kleine Grüppchen rumstehen. 

Die Infektion müsste also durch die Decke schießen. Tut sie aber nicht. 

Der Verdacht, dass von den drei Szenarien keines zutrifft und es wirklich ein mehr oder weniger von uns unbeeinflusstes Phänomen ist, liegt nahe. Die einzigen Parameter, die wir wirklich in der Hand haben, ist unsere persönliche Körperhygiene auf der einen Seite und die vom Staat zur Verfügung gestellte medizinische Infrastruktur: Ausrüstung, Plätze und Personal. Gerade bei letzterem haben die meisten Länder ziemlich versagt, was sich gerächt hat und wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen, weil die Pläne unserer hochgelobten Regierung noch nicht umgesetzt waren.

Wenn wir sie nicht umsetzen und statt dessen mehr Mittel zur Verfügung stellen, dürften wir auch zukünftig besser gerüstet sein – sofern wir es wirtschaftlich überleben – denn das darf man nicht vergessen. Indem wir uns wirtschaftlich ruinieren, nehmen wir uns das, was wir am dringendsten brauchen: eine technisch hoch entwickelte, flexible und effiziente medizinische Grundversorgung.

17. Dezember 2019

Was ist Würde?
Warum ist sie unantastbar?
Wie kommt sie ins Grundgesetz.

Antwort auf diese Fragen gibt der christliche Humanismus.
Es ist kein Zufall, dass es in unserer Gesellschaft keine Leibeigenschaft mehr gibt, das wir die Idee von unveräußerbaren Menschenrechten vertreten. Den Wert des Menschen über seine Stellung oder den gesellschaftlichen Nutzen zu definieren, ist in allen westlichen Zivilisationen tabu. Selbst der durch die Natur eingerichtete Schutz vor Übergriffen auf die eigene Sippe wird moralisch verworfen und mit breiter Unterstützung wird für die Öffnung der Gesellschaft auf Fremdes hin geworben.

Es ist keine Kultur überliefert, die jemals in einem Land das Konzept der Feindesliebe gekannt oder gar proklamiert hätte. Ganz im Gegenteil waren auf allen Teilen der Erde und zu allen Zeiten blutigste Rituale und brutale kriegerische Auseinandersetzungen die Regel.

Quelle des christlichen Humanismus ist die Vorstellung, dass sich im Menschen etwas zeigt, was sich den Gesetzmäßigkeiten der Naturwissenschaften nicht bis ins Letzte unterordnet; ein Funken von Freiheit, von selbstloser Liebe, kurz: Personalität.

Der Mensch ist Person. Er ist nicht bloß ein Rädchen im Getriebe, ein Individuum oder ein Subjekt, er ist mehr als die Summe messbarer Teile. Als Person verfügt er über Qualitäten, die es in der Welt sonst nicht gibt. Er kann frei entscheiden und somit in Verantwortung stehen. Er kann Werturteile fällen und sich ihnen entsprechend oder sogar entgegengesetzt verhalten. Ethische und auch ästhetische Urteile prägen sein Verhältnis zur Welt.

Die Väter des deutschen Grundgesetzes haben dieses Bild vom Menschen aufgegriffen, indem sie das, was ihn vom Individuum zur Person erhebt, die Würde, als programmgebenden Baustein in den Gesetzestext aufnahmen.

Die Würde ist somit nichts, was man jemandem zu- oder absprechen kann. Nichts, was man sich verdienen muss oder was einem erst ab einem bestimmten Reifegrad zukommt. Würde ist ein gattungsspezifisches Merkmal, welches dem Menschen grundsätzlich zukommt und über das er keinerlei Verfügungsgewalt besitzt. Konkret führt die Vorstellung von der Würde des Menschen zu drei politischen Grundanliegen.

I Personalität
Es darf keine Übergriffe auf die Person des Menschen geben, insbesondere auf das Leben. Jede Rechtsvorschrift, die das Leben des Menschen, von seiner Zeugung bis zum natürlichen Tod einer Funktion unterordnet, widerspricht der Unverfügbarkeit.

Zudem ergeben sich aus den besonderen Fähigkeiten des Menschen spezielle Rücksichten. Natürlich kann eine Ethik so nicht mehr rein funktional aufgefasst werden, nach dem Motto: Was funktioniert, ist gut.

Personen kennen das Private. Es gibt Grenzen der äußeren Verfügung, die über das Lebensrecht hinaus gehen. Jedem intuitiv vertraut, dürfte die Schamgrenze sein; ein Raum, den man nicht ohne tiefes Vertrauen öffnet. Auch in Bezug auf andere spüren wir instinktiv, wo persönliche Freiheiten berührt werden. Es gehört zu unserer Natur, dort zurückzuschrecken, wo wir die Würde des Gegenübers berührt sehen: Das beginnt beim Eigentum und reicht bis zur individuellen Selbstbestimmung in Weltanschauung und Lebensführung.

II Solidarität
Die Würde des Menschen erfahren wir nicht nur bei uns selbst, denn sie entfaltet sich in jedem Individuum der Gattung Mensch. Dies zu erkennen, verfügen wir über die Möglichkeit, andere als Person und nicht bloß als Objekt unserer Wünsche und Nöte zu begreifen. Was einen jeden von uns im Innersten ausmacht, können wir auch im anderen erkennen.

Aus dem Wissen um diese Größe erwächst Achtung. Im christlichen Humanismus gehen wir sogar einen Schritt weiter, wir erkennen Verantwortung, die uns füreinander gegeben ist. Durch die Aufgabe, uns gegenseitig zu stärken, uns bei der Entfaltung des jeweiligen Potentials zu unterstützen, als freies freundschaftliches Geschenk, erfahren wir Sinnhaftigkeit.

Das rein mechanische Zusammenspiel, ebenso die Erkenntnis, gemeinsam mehr zu erreichen oder für die gleiche Idee einzustehen, kann nicht genügen. Menschliches Streben ist immer auch Sehnsucht nach Größerem, nach etwas, das jeden weltlichen Zweck überbietet. Darum ist die Gemeinschaft der Personen ein zentrales Element in einer aufstrebenden und blühenden Gesellschaft.

III Subsidiarität
Aus Personalität und Solidarität, wenn sie in Verantwortung zusammen finden, kann der passende staatliche Rahmen nur subsidiär organisiert sein.

Subsidiarität, damit das ist das allgemeine Prinzip der Verschlankung gemeint: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Der Anspruch, den ein personales Menschenbild formuliert, ist hoch. Wenn der Mensch vom Wesen her frei ist, wenn seine Verantwortlichkeit nicht primär dem Staat gilt, sondern im Urgrund seiner Geschöpflichkeit verankert ist, wenn Solidarität nicht verordnet werden kann, sondern aus eigenem Antrieb geschehen muss, dann ist nicht viel Raum für staatliche Eingriffe.

Dennoch ist es unbestritten, dass ein Gemeinwesen nicht ohne Regeln, ohne äußere Rahmenbedingungen gelingen kann. Die Kunst hierbei ist es, diese so schlank wie möglich zu gestalten, um der persönlichen Entfaltung aller Raum zu verschaffen.

Den aktuellen politischen Debatten ist der hier skizzierte Ansatz fremd geworden.

Heute finden Diskussionen meist zwischen zwei Lagern statt. Auf der einen Seite stehen Vertreter sozialistischer Ideen, die den Menschen mit Hilfe eines starken Staates zu seinem Glück verhelfen wollen und auf der anderen Seite gibt es einen eher marktliberal geprägten Ansatz, nach dem ein schlanker Staat Freiraum schaffen müsse, damit durch selbstregulierende Kräfte am Markt ein Gleichgewicht entstehen könne.

Wir möchten dem christlichen Humanismus, wie er oben zusammengefasst ist und wie er für das Deutsche Grundgesetz Pate stand, wieder zu mehr Gehör in der öffentlichen Diskussion verhelfen. Nach unserer Auffassung hat er nicht nur wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschlands seit der Nachkriegszeit, das ihm zugrunde liegende Weltbild ist auch eng mit den ethisch-moralischen Errungenschaften der westlichen Welt überhaupt verbunden. Mit seinem Verschwinden aus der allgemeinen Wahrnehmung nimmt auch zunehmend das Grundverständnis für unsere Solidargemeinschaft ab, so dass eine immer stärker werdende Bewertung menschlichen Lebens nach funktionalen Kriterien zu beobachten ist.

17. November 2019

In Polen ist ein neues Gesetz im Gespräch, nachdem schulischer Sexualkundeunterricht abgeschafft werden solle. Natürlich facht das in unserer übersexualisierten Gesellschaft hitzige Diskussionen an.

Was dabei besonders auffällt, ist die unredliche Argumentation. Wer gegen den Sexualunterricht ist, sei entweder prüde, wolle Kindern die freie Entfaltung ihrer Sexualität verwehren und sei vor allem an ungewollten Schwangerschaften sowie an daraus resultierenden Abtreibungen schuld.

Ich möchte dem ein paar Gedanken entgegensetzen.

Zuerst einmal etwas über den Sinn von Schule. Sie dient vor allem der Aneignung von Wissen. Dort sollen grundsätzliche Fertigkeiten erlernt werden, die das Leben in der Gesellschaft erleichtern und die zum Teil Voraussetzung für berufliche Tätigkeiten oder weitere Ausbildungen sind.

Primär handelt es sich also um Orientierungshilfen zu Technik und Kultur, vor allem um Lesen, Schreiben und Rechnen.

Im Bereich der Ethik unterscheiden sich schon die Geister. Die einen wünschen einen Religionsunterricht, die anderen einen „neutralen“ Ethikunterricht. Bisher bestimmt die Ausrichtung des Elternhauses, in welche Richtung Kinder geprägt werden sollen, auch wenn Lehrer und Einrichtungen ihre Vorstellungen durch andere Fächer und Methoden einfliessen lassen.

Kritik am Sexualkundeunterricht setzt genau hier an. Oftmals ist es für Eltern nicht transparent, was dort genau gelehrt wird, wie die Vorstellung des Schulträgers aussieht, und obwohl das Thema zu einem großen Teil ethischer Natur ist, werden spezifische Werte, auch von Randgruppen, nicht selten als Allgemeingültig hingestellt.

Oberflächlich könnte man meinen, es solle der Sexualakt erläutert werden. In der Tat scheinen etliche mittlerweile leicht zugängliche Unterrichtsmaterialien in diese Richtung zu gehen, ausgehend von unterschiedlichen Praktiken bis hin zu theatralischen Übungen.

Dabei stellt sich die Frage: Warum sollte so etwas Stoff für den Unterricht sein? Bei der Sexualität handelt es sich nicht um ein kognitiv zu erwerbendes Wissensgebiet, sondern um einen Trieb, den jeder gesunde Mensch von selbst erfährt und der tief im Privaten verwurzelt ist. Die intellektuelle Thematisierung vor Fremden kann sogar schädlich sein.

Den Vertretern dieses Ansatzes ist das durchaus bewusst, weshalb sie auf sekundäre Aspekte verweisen, um die es eigentlich gehe: Toleranz gegenüber Menschen, die sich über ausgefallene Sexualpraktiken definieren, sowie Möglichkeiten der Verhütung von Krankheiten und/oder der Zeugung von Nachwuchs.

Dass die Inhalte primär ethischer Natur sind, wird nicht abgestritten, sondern oft sogar als Auftrag verstanden. Kritik am reinen Lehrinhalt, also wie der Trieb umgesetzt werden kann, wird als überzogen zurückgewiesen, da es darum ja nur äußerlich gehe. Der Vorwurf eines Eingriffs in die private Entwicklung der Schüler, einer von außen an Kinder herangetragenen Beschäftigung mit deren Triebleben, wird als prüde und weltfremd abgetan, Übergriffigkeiten in diesem Rahmen werden abgestritten und man setzt einen ethischen Konsens voraus, der so nicht besteht.

Tatsächlich handelt es sich aber weder bei der Verhütung, noch bei der Förderung des Triebverhaltens um unumstrittene Werte. Eher könnte ein in der Biologie angesiedelter Sexualkundeunterricht die Zeugung und somit auch die Entwicklung des Lebens aufzeigen, Verhütung wäre dann eine Störung. Oder auch das Triebverhalten könnte neutral dargestellt werden, indem auf dessen Suchtpotential hingewiesen würde und Kulturleistungen aufgezeigt würden, mit Trieben sozialverträglich umzugehen.

Die Kritik am Sexualunterricht bezieht sich also einerseits auf Übergriffigkeiten bei der Thematisierung eines Verhaltens, das sinnvollerweise gar kein Unterrichtsgegenstand sein kann, andererseits aber auch auf Implikationen, die ein Menschenbild voraussetzen, das längst nicht jeder teilt: Der Mensch als durch seine Triebe definiertes Wesen, dessen folgenloser Lustgewinn von hoher Priorität ist.

Die eigentlichen Fragen, die zum Sexualkundeunterricht diskutiert werden sollten wären darum eher folgende:

– Welches Menschenbild soll unseren Kindern vermittelt werden?
– Was sind die Gefahren, wenn man in eine Welt entlassen wird, deren primäres Ziel nicht der Respekt vor der Person des Einzelnen ist?
– Was ist ein gesunder Umgang mit anderen sowie mit sich selbst und wie kann ein gemeinschaftliches Leben in Achtung vor der Würde des Gegenübers gelingen.

22. September 2019

Die Skihütte, auf der ich kürzlich war, ist mit ausgestopften Raritäten, vom Wildschwein bis zum Auerhahn, reichlich ausgestattet. „Die armen Tiere“, vernahm ich gleich als erstes die Bemerkung eines Mädchens, welches im Flur an ein paar solcher Exponate vorbei musste. 

Mädchen sind emotional, hätte ich früher gedacht. Das ist typisch für das Alter. Alles an Tieren, was einigermaßen putzig aussieht, ist zum Streicheln da. Natürlich kennt die Naivität weder Krankheit noch Tod, sie beginnt die Schönheit der Natur zu erfassen, aus unserem geschützten zivilisatorischen Rahmen heraus, der Gefahren ist sie sich nicht bewusst.

Aber heute ist das anders. Heute ist diese Infantilität vor allem bei Jugendlichen und Erwachsenen aus der sog. Bildungsschicht weit verbreitet.

So war es vielleicht nicht ganz zufällig, dass sich aus ein paar Fragen meiner Ältesten am Tag darauf ein intensiveres Gespräch über Mensch und Natur ergab, welches heute dann einen völlig unvorhersehbaren Abschluss fand.

Wir waren auf dem Weg zur Partnachalm. Der Waldweg zieht sich sanft am Hausberg entlang, streift ein paar Lichtungen und lädt zum Gespräch ein. Was liegt da näher, als Naturbetrachtungen. Jemand wendete Heu manuell mit dem Rechen, die Herbstsonne hatte das nasse Gras der Frühe schon fast durchgetrocknet. 

„Wozu baucht der Mann denn das Heu?“ Begann die Siebenjährige das Gespräch.
So erzählte ich vom Winter, von Kühen auf den Almen, dem Heu im Tal, dem Almabtrieb und den Kosten, die entstehen, wenn man für die Tiere nicht ausreichend Winternahrung vorbereitet hat.

Völlig klar war es uns beiden, dass der Mensch eine Verantwortung trägt, den domestizierten Tieren gegenüber, deren Erzeugnisse bis hin zum Fleisch er nutzt. Beim Schlachten und Essen gingen die Meinungen in der Theorie allerdings auseinander. Nicht dass sie nicht auch gerne Fleisch auf dem Teller hat – ab er dass Tiere dafür getötet werden, das missfiel ihr nicht weniger, als dem Mädchen tags zuvor der Anblick der ausgestopften Vögel.

Das Gespräch wandte sich somit allgemein dem Thema Tod und Krankheit zu. Natürlich ist es nicht schön zu sterben, es ist auch nicht schön zu leiden, aber die Alternativen dazu sind rar. Beschützt man Tiere vor ihren Fressfeinden, muss der Jäger verhungern. Dass Katzen Fleisch zum Überleben brauchen, ist nun einmal so.

Auch ist es fraglich, ob ein langsamer Tod durch Krankheit in der Wildnis dem Tod als Beutetier immer vorzuziehen ist. Es gibt keine Tierärzte im Wald. Die größte Anzahl aller Lebewesen kennt keine Schmerzmittel, keine Operationsmöglichkeiten oder Antibiotika.

„Warum“, so meine Tochter, „gehen die Tiere denn nicht einfach zum Tierarzt?“ Es wollte ihr nicht einleuchten, dass man nicht auch Wildtieren beibringen kann, dass sie bei Schmerzen zum Arzt gehen können. Die Mutter ist Tierärztin, sie würde sich bestimmt um die Tiere kümmern und mit der Zeit würde sich das dann bei den anderen herumsprechen. 

Hier musste ich passen. Dass Tiere ein solches Verhalten dem Menschen gegenüber nicht lernen, wenn sie nicht mit dem Menschen aufwachsen, war nicht vermittelbar. Was hingegen schon der Zweitklässlerin einleuchtete war, dass der Mensch das einzige Wesen ist, das mit seiner Technik, mit seiner Medizin und seinem Mitleid effektiv in der Lage ist, anderen Tieren zu helfen. Selbst der gezielte Schuss eines Jägers um ein Reh zu erlegen erschien nicht mehr so grausam, im Vergleich zu den Methoden der Natur, den Tod einzuleiten.

Das letztlich überzeugende Argument für den Widerwillen der Tiere sich helfen zu lassen, präsentierte sich heute von ganz allein. Wir sahen an der Würm eine Ente mit einem Plastikring um den Hals, der sie am Schwimmen und vermutlich auch am Fressen hindert. Auch die beste Absicht, viel Geduld und sicher auch kein reines Ungeschick waren allerdings nicht in der Lage, die Ente einzufangen oder ihr sonstwie zu helfen. 

Hilfe ist also ganz offensichtlich nicht möglich, wo der Bedürftige sie nicht annimmt und erst recht auch nicht da, wo sich Natur und Mensch nicht kennen.

24. April 2019

„Das ist nicht links – das ist logisch!“

Dieser Spruch des Komödianten Moritz Neumeier macht im Netz die Runde. Er klingt bodenständig, entwaffnend und zeigt eine Bereitschaft zum Konsens, ideologische Schranken zu überwinden, also einfach auf das Logische, den Sachverstand zu verweisen.

Was aber bedeutet „logisch“?

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff synonym zu „einleuchtend“, „für jeden erkennbar richtig“ eingesetzt. Was logisch ist, das muss doch stimmen! Oder?

Nun – genauer betrachtet handelt es sich bei der Logik um eine Technik, mit der Aussagen verknüpft werden. Am gebräuchlichsten ist der sog. „Syllogismus“, wie der Duden sagt, ein „aus zwei Prämissen gezogener logischer Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere“.

Nehmen wir dazu ein kleines Beispiel: 

Prämisse 1: Alle Menschen sind intelligent.
Prämisse 2: Moritz Neumeier ist ein Mensch.
Logischer Schluss/Syllogismus: Moritz Neumeier ist intelligent.

Schon hier ist erkennbar, dass die Logik mit dem Wahrheitsgehalt einer Aussage nichts zu tun hat. Behaupte ich etwas Falsches, kann ein richtiger Schluss durchaus zu einem falschen Ergebnis führen: 

Prämisse 1: Alle Menschen sind Blond.
Prämisse 2: Nelson Mandela ist ein Mensch.
Schluss: Nelson Mandela ist blond.

Um also den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu unterstreichen, ist die Logik sicherlich nicht das geeignete Mittel, denn der hängt von den Prämissen ab und die sind gesetzt. 

Bezüglich des Wahrheitsgehaltes einer Aussage, müssen folglich die Prämissen genauer betrachtet werden, doch deren Plausibilität ist nicht immer evident. Logik kann hier als hilfreiches Mittel eingesetzt werden, z.B. indem man Schlüsse, die auf den Aussagen aufbauen, selbst wieder auf Plausibilität hin überprüft. 

Ob etwas wahr ist, erweist sich nicht immer direkt in der Anschauung, sondern oft erst in der Bewertung der Folgen. Leicht abgewandelt kann ich darum den Satz des Herrn Neumeier gerne unterschreiben:

„Das ist nicht rechts, das ist richtig!“

9. November 2018

Wir wohnen im Vorort einer größeren deutschen Stadt. Neben Gründerzeitvillen und vereinzelten Neubauten gibt es klassische Reihenhaussiedlungen, die Verkehrsanbindung ist optimal, Einkaufszentren, ein Fernbahnhof, ein großzügig angelegter Stadtpark entlang eines kleinen Flüsschens, an dem man nahezu grenzenlose Wanderungen oder Radtouren unternehmen kann, alles ist fußläufig.

20. Oktober 2018

Wenn ein Mensch Lebensfreude ausstrahlt, dann ist es unsre jüngste Tochter, Finja. Wachsam erkundet sie mit ihren eineinhalb Jahren die Welt, jede Form der Aufmerksamkeit erwidert sie mit einem warmherzigen Lächeln. Auch Fremden fällt gleich auf, wie entspannt und fröhlich dieses Kind ist. Sie ist unser aller Stolz, Ruhepol und Sonnenschein der ganzen Familie.

Eine große Hilfe ist sie auch unserem Neuzugang, der vor einer Woche das Licht der Welt erblicken dürfte und der gerade wenn ihn der Hunger drückt, immer gleich nahe der Panik ist. Panik hingegen kennt Finja gar nicht und könnte sie es bereits, würde sie über so ein Verhalten wohl den Kopf schütteln. Stattdessen schaut sie ihn ruhig und verwundert an und versucht Händchen zu halten – was ihn beruhigt.

Unsere Älteren sind nach wie vor begeistert von Finja. Sie wird umhegt und umpflegt, und auch wenn sie vieles noch nicht umreißen, sie spüren doch, dass Finja ein ganz besonderer Mensch ist. Meistens sind es äußere Einflüsse, die Anstoß zum Nachdenken oder gar zur Sorge geben. So war es für die Kinder anfangs befremdlich, dass andere Babys aus unserem Bekanntenkreis gar keine Magensonde benötigten. Mittlerweile haben sie auch aus dem Kindergarten erfahren, dass Finja „behindert“ ist. Was sie aber unter diesem Begriff zu verstehen haben, ist ihnen noch nicht ganz klar.

Finja hat eine komplexe Hirnfehlbildung und Fachärzte räumten ihr erst nur eine äußerst geringe Überlebenschance ein, wie wir später erfuhren. Damit wir wenigstens ein paar Tage etwas von ihr haben, gab man sie uns recht schnell nach der Geburt direkt aus der Intensivstation mit nach hause. Von da an aber machte sie Fortschritte. Sie entwickelt sich langsam, aber stetig.

Natürlich ist ihr junges Leben von vielen Krankenhausaufenthalten geprägt, was auch die anderen Kinder nicht unbeeindruckt lässt. „Krankenschwester auf der Intensivstation für Kinder“ will unsere Älteste einmal werden. Und auch ihr Musikgeschmack ist von Finja inspiriert, seit sie den christlichen Kinderliedermacher „Gerhard Schöne“ entdeckt hat, mit Stücken wie „Lena war krank“ oder „Brief an Debora“.

Es ist beeindruckend zu sehen, wie perfekt die Kinder harmonieren, wie wichtig sie füreinander sind. Noch heute ist Finja für unsere Zweitälteste eine ganz besondere Bezugsperson. Wenn sie mal Ärger mit uns Eltern hat, wenn die Welt hart und ungerecht ist, dann geht sie zu ihr und lässt sich trösten. Das Lächeln, die liebevollen Laute, die sie von sich gibt und ihr warmherziges, tiefentspanntes Wesen sind die beste Medizin, um gleich wieder ein fröhliches Gesicht hervorzubringen.

Ganz anders sind oft Reaktionen aus dem Umfeld. Viele drücken mitfühlend ihre Bewunderung aus, „wie wir das alles schaffen“, wobei Finja das pflegeleichteste Baby ist, das man sich vorstellen kann. Sie weint nur, wenn sie wirklich Schmerzen hat, sie spielt allein mit ihrem Spielebogen (was keines der anderen getan hat), hilft beim Umziehen sowie bei der Körperpflege so gut sie kann und dabei strahlt sie derart freudig, dass man gleich ein schlechtes Gewissen hat, wenn man sich mal kurz nicht um sie kümmern konnte. Natürlich gab es auch vor der Geburt den vorsichtigen Rat, man solle sich doch überlegen, ob man das Kind wirklich wolle. Ehrlicherweise muss ich aber sagen, dass das die Ausnahme war und es gerade von Ärzten und Institutionen keine Beeinflussung in diese Richtung gab. Alle Beteiligten haben sich jederzeit rührend und kompetent um die Kleine gekümmert.

Warum nun schreibe ich das alles?

Der äußere Anlass ist ein Gespräch, das ich gestern mit einem Freund geführt habe. Es ging am Rande um eine Kuriosität unserer Bürokratie. So müssen wir aufgrund der neuen Datenschutz-Verordnung regelmäßig einen Stapel an Papier unterschreiben, damit ein Arzt Informationen an einen weiteren Behandelnden durchreichen darf, was ja allein zum Wohl des Kindes geschieht. Hätten wir uns damals aber für eine Abtreibung entschieden, hätte vermutlich eine einzige Unterschrift genügt.

So komme ich nun zum eigentlichen Thema, der Abtreibungsdebatte. Immer wieder ist zu lesen, dass Menschen Kinder abtreiben, um ihnen angebliches Leid zu ersparen. Sie denken, ein Leben mit Einschränkungen, sei es nicht wert, geführt werden zu dürften. Lieber tot als krank, lautet da die Devise. Die Herzenskälte, die aus vielen Beiträgen spricht, wenn Eltern ihren Kindern Namen geben und sie dann unter schönfärbenden aber tödlichen Begriffen ausradieren lassen, geht mir sehr nahe. Mittlerweile kann ich derartige Artikel auch nicht mehr lesen, es ist einfach zu abstoßend.

Finja wäre kein Leid erspart geblieben, wenn wir sie hätten töten lassen, ihr wäre ein Leben verweigert worden, ein Leben, das sie ganz offensichtlich aus vollen Zügen genießt, zu ihrem und zum Wohle aller, die sie kennen!

Besonders perfide ist es, wenn ein derartiger Auftragsmord, wie es Papst Franziskus kürzlich genannt hat, als medizinischer Eingriff, als soziales Engagement und gar als moralische Notwendigkeit bezeichnet wird. Nichts in diesem Land, nichts in dieser Zeit, zeigt die Verwahrlosung unserer Gesellschaft deutlicher, als die gängige Praxis, unsere Kinder dem Hedonismus zu opfern und dies mit frömmelnden Worten als Errungenschaft anzupreisen.

14. Juli 2018
31. Mai 2018