Ralf König, ein Publizist der eigentlich nicht im Ruf steht besonders zimperlich zu sein oder schnell von Ekelgefühlen übermannt zu werden, meinte kürzlich in einem Interview mit der Zeitung „Sueddeutsche„: „Bei der Kirche empfinde ich fast Ekel“.
Es ist wohl kaum davon auszugehen, dass diese „Empfindung einer starken Abneigung in Verbindung mit Widerwillen“ (so wird Ekel in der Wikipedia definiert) von Herrn König erst seit kurzem empfunden wird, doch ist es im Augenblick wohl besonders opportun sich derart zu äußern, da seit Monaten – man möchte schon fast sagen genüsslich – in allen Medien von Übergriffen kirchlicher Angestellter auf Schutzbefohlene berichtet wird.
Dabei scheint eine mögliche Aufarbeitung von Straftaten kaum von Interesse zu sein, viel eher steht genau jenes Wecken von Ekelgefühlen im Zentrum, wofür nicht einmal tief in die Trickkiste gegriffen zu werden braucht: Indem das Wort „Missbrauch“ für alles herhält, von einer Ohrfeige vor 20 Jahren, einer freundschaftlichen Berührung, bis hin zur brutalen Vergewaltigung, wird permanent das Bild von lüsternen alten Männern kreiert, welche sich auf unsere Kinder stürzen. Selbst in der heutigen Gesellschaft, wo sexuelle Tabus kaum noch vorhanden sind, wirkt so etwas auf die Mehrheit noch abstoßend.
In der Diskussion fällt vor allem die den Opfern zugesprochene Rolle auf. Häufig ist vom „Missbrauch mit dem Missbrauch“ die Rede, was bedeutet, dass Interessengruppen vor allem auf Kosten der Opfer versuchen, ihre politischen Forderungen durchzusetzen – bis hin zur Erfindung eines Opfers, wo es offensichtlich keines gibt.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema, sowohl zur Wiedergutmachung als auch zur Prävention, sollte eigentlich die Gesellschaft insgesamt in den Blick nehmen. Auch Priester sind nicht allein kirchlichen Einflüssen unterworfen sondern haben am politischen Leben teil und werden von modernen Weltanschauungen umworben. Ein Vergleich der Häufigkeit sexueller Delikte in allen wichtigen Bereichen könnte da durchaus zeigen, dass das katholische Umfeld tendenziell positiv wirkt, doch das Klischee vom „scheinheiligen Pfaffen“ zu bedienen ist einfacher und effektiver.
Doch effektiver wofür?
Zur modernen „Spassgesellschaft“, deren Hedonismus ihr wichtigstes Dogma ist, opponiert die kirchliche Ethik als letzte ernstzunehmende Kraft im Land. Nicht was Spass bereitet, sondern was gottgefällig ist gilt Christen als erstrebenswert und gut. Dass sich dieser Konflikt vor allem an der Sexualethik entzündet war durchaus zu erwarten und natürlich fehlt in der Auseinandersetzung jeder Hinweis darauf, dass die Kirche sich der Sündhaftigkeit der Menschen (und natürlich auch aller Kirchenmitglieder) seit je her bewusst ist, dass dadurch die Lehre aber in keiner Weise widerlegt wird. Statt dessen versucht man aus einer überschaubaren Zahl von Einzelfällen einen Fehler im System herbeizureden um so der letzten Opposition den Stachel zu nehmen.
Trotz starker Tendenzen einer Säkularisierung innerhalb der Kirche (die den starken gesellschaftlichen Einfluss anschaulich machen) bleibt sie besonders unter dem aktuellen Papst noch immer eine deutliche Herausforderung für den modernen Zeitgeist. Hat man bisher vor allem versucht, dem durch Vorwürfe der Prüderie, Weltfremdheit oder gar der Unmenschlichkeit zu begegnen, ändert man nun die Taktik: man wirft Priestern pauschal eine ausschweifende Sexualität vor, man kreidet das Vorkommen von Homosexualität an (die man ansonsten gegen alles und jeden verteidigt) und führt gar eine bis dato vehement bekämpfte Vorstellung von Kollektivschuld wieder ein, nach der nicht nur jeder bekennende Katholik, sondern die Morallehre selbst für jene verantwortlich gemacht wird, die ihr kirchliches Amt extremst missbrauchen.
Dem Ekel, den unsere sexualsüchtige Gesellschaft wohl angesichts „Humanae Vitae“ empfinden mag, wird nun auf diese Weise geschickt Ausdruck verschafft, so dass selbst Bischöfe als Chor in den Gesang eines Ralf Königs mit einzustimmen bereit scheinen.