Die Zukunft des Web liegt im Dreidimensionalen. Auch wenn der „Second Life®-Hype“ nachgelassen hat, dürfte daran kein Zweifel bestehen, denn mit steigenden Netzwerk- und Computerleistungen wird die Schnittstelle der modernen Technik zu menschlicher Sinneswahrnehmung immer optimaler auf den Nutzer hin zugeschnitten werden.
Natürlich wundert es nicht, dass vor allem pornographische Angebote, die ihrer Natur nach auf Sinnestäuschung hin angelegt sind, hier eine Vorreiterrolle spielen. Weniger offensichtlich dürfte für viele jedoch das kirchliche Engagement sein. Braucht es eine Virtualisierung zur intensiveren spirituellen Erfahrung?
Hier gilt es meiner Einschätzung nach vor allem zwei Bereiche zu trennen: zum einen den Bereich der Kommunikation, der Gemeinschaft in Hinblick auf Glaubensfragen, auf Austausch und dem Knüpfen neuer Kontakte, sowie zum andren das Gebetsleben, welches in virtuellen Welten auch gemeinschaftlich begangen werden kann.
Ersteres halte ich für einen wichtigen Aspekt heutigen gesellschaftlichen Lebens. Der christliche Auftrag, in die Welt hinaus zu gehen, das Evangelium zu verkünden, kurz gesagt „der Missionsauftrag“, bezieht sich naturgemäß auf die Welt, in die man gesetzt ist und nicht wenige Menschen sehen in den modernen „Social Networks“ einen Familienersatz – einen Weg aus der gesellschaftlichen Isolation unserer utilitaristischen Welt auszubrechen. Hier anzusetzen und das offene Gespräch zu suchen ist sicher Kernaufgabe der Verkündigung und ganz im Sinne der aktuellen Bemühungen des Papstes, wie sie beispielsweise in seiner Botschaft […] zum 43. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel zum Ausdruck kommt.
Ein anderes Bild zeichnet sich für mich im Hinblick auf die Verlagerung der Gebetspraxis in virtuelle Welten. Diesbezüglich stellen sich eine ganze Reihe an Fragen, die ich kurz am Beispiel von Second Life® skizzieren möchte, da mir diese Welt am vertrautesten ist. Zuerst allerdings ein kurzer Überblick in die Funktionsweise dieser Welt, da ja noch längst nicht jeder bereits „vor Ort“ war:
Second Life® wirkt auf den ersten Blick wie ein Computerspiel in dem eine Reihe von Wesen, meist Menschen, durch dreidimensionale Landschaften laufen oder fliegen. Wer sich dort anmeldet erhält eine eigene Spielfigur, Avatar genannt, aus deren Perspektive man die Welt erkunden kann und die per Tastatur steuerbar ist. Gespräche finden wahlweise über Mikrofon oder Tastatur statt, wobei die Sprache per Mikrofon nur dann funktioniert, wenn alle beteiligten ihr System entsprechend konfiguriert haben. Häufig wird darum die Schrift zur Kommunikation genutzt, entweder analog zu Instant-Messengern im direkten Austausch mit „Freunden“, oder wie in Chaträumen mit allen örtlich anwesenden gemeinsam. Der eigene Avatar kann auf verschiedene Weise gestaltet werden, sowohl vom Körperbau als auch der Kleidung nach. Alles Gestaltete kann abgespeichert und bei Bedarf auch auf andere Avatare übertragen werden, so dass man mit unterschiedlichem Aussehen auftreten kann, wobei neben Menschen jede Art von Kreatur denkbar ist und wer selbst nichts gestalten mag, kann aus einem schier unendlichen Angebot teils kostenlos, teils entgeltlich, wählen. Der Vollständigkeit halber sei noch kurz erwähnt, dass man sich in Second Life® virtuellen Grund mieten kann, diesen auch weiter vermieten und bearbeiten kann. Wer sich in eine kleine Skriptsprache einarbeitet kann allerlei auch bewegte Gegenstände herstellen und diese verschenken oder verkaufen. Die Währung ist frei mit dem USD wechselbar, man kann also sogar geld in Second Life® verdienen.
Sicher kann man sich leicht vorstellen, was man dort im religiösen Umfeld alles vorfindet: jegliche Art von Priester- und Ordenskleidung, Liturgische Geräte, Gewänder, Skulpturen etc. Nicht wenige Orte sind von Kirchen und Kapellen übersäht teils Nachbauten realer Gebäude, teils aufwändige Dome und Kathedralen frei nach Fähigkeit und Geschmack des Erbauers. Auch die katholische Kirche scheint Gelder für derartige Projekte auszugeben, sehr prestigeträchtig ist eine originalgetreue Nachbildung des Kölner Domes und gerade das Erzbistum Freiburg macht für sein Projekt rund um St. Georg viel Medienwirbel.
Dass sich in diesem Umfeld eine Reihe von Avataren als Geistliche, bis hin zu Bischöfen ausgeben, dass nicht überall klar ist, ob jemand dies nur in Second Life® spielt oder ob sich hinter dem Avatar auch tatsächlich eine geweihte Person befindet führt de facto zu einigen Irritationen. So habe ich glaubhaft versichert bekommen, jemand, der definitiv kein Priester ist, habe angeboten anderen die Beichte in seiner virtuellen Kirche abzunehmen, etc. Dies zu vertiefen führt sicher zu weit, vor allem, da hier ja aus kirchlicher Perspektive von vorn herein klar ist, dass es sich um Missbrauch handelt. Interessanter für mich ist die Frage, wie es mit den tatsächlich kirchlich unterstützten oder zumindest offiziell unter kirchlichem Mantel stattfindenden Gebetsveranstaltungen aussieht.
So finden beispielsweise regelmäßige Abendgebete statt in denen jemand vorbetet und alle je nach Gusto mitlesend mitbeten können. Auf diese Weise fänden Menschen unterschiedlichster Länder und Kulturen zum Gebet zusammen, wobei natürlich peinlich genau darauf geachtet werde, nicht in die Nähe sakramentaler Handlungen zu geraten, heisst es. Wer kann aber letztlich dafür bürgen, dass derartige Veranstaltungen tatsächlich kirchlich initiiert sind? Wenn sich Leute an dort regelmäßig auftauchende Avatare halten – was weiß man wirklich über die Menschen hinter ihnen?
Für mich befremdlich ist vor allem das Szenario. Ich kann z.B. bei einem Fernsehgottesdienst nachvollziehen, dass in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen, die keine Kirche aufsuchen können, dort etwas finden. Wie aber ist dies in Second Live®? Ich denke, man sollte sich das einmal bildlich vorstellen: Jemand schaltet einen Computer an, startet das Programm und lässt darin eine Spielfigur zu einer virtuellen Kirche laufen. Dann setzt er diese auf eine virtuelle Kirchenbank (evtl. hat er programmierte Gesten für Kreuzzeichen, Kniebeuge, etc. für seine Figur erworben) und betet die Komplet. Eine viel beschworene Einheit von Spielfigur und Spieler kann ich mir da schwer vorstellen, denn der eigentlich Betende sitzt ja vor dem Computer. Dass aber der Avatar betet, davon wird wohl keiner ausgehen. Wie aber sieht dieses Beten am Computer tatsächlich aus?
Bete ich doppelt, wenn ich zwei Avatare auf die Bank setze?
Wenn ich mit dem Gebetstext durch bin und noch etwas Zeit ist, lass ich meinen Avatar dann ausharren und lenke mich selber anderweitig ab?
Vielleicht übertreibe ich das ja auch, aber ich stelle mir eine ganze Reihe von Leuten vor, die vor ihrem Rechner sitzen und im buchstäblichen Sinne ihren Monitor anbeten …