Atomausstieg – eine Abwägung

Angeregt durch die Vorfälle in Fukushima wurde in den vergangenen Wochen das Thema Atomkraft in der (deutschen) Öffentlichkeit stark diskutiert. Ich will hier jedoch sämtliche Parolen, Hysterien und Meinungsumschwünge der letzten Wochen unberücksichtigt lassen, Fukushima sogar nicht weiter erwähnen – für eine Auswertung, ob die Vorfälle ein Argument für oder gegen Atomkraft sind, ist es noch zu früh. Es wäre ohnehin nur ein weiterer Mosaikstein in einer komplexen Sachfrage, kein Menetekel. Ich will vielmehr, da ich glaube, dass eine argumentative Abwägung der sinnvollste Weg ist, sich mit vielen Dingen auseinanderzusetzen, versuchen, eine ebensolche hier darzustellen – soweit es mir als Laien möglich ist. Zu einer solchen Abwägung gehört es, über den Wert, die Probleme und die Alternativen zu sprechen.

 


 

Ich will mit den Gefahren und Problemen beginnen. Diese sind, denke ich, dreifach:

 

  1. Uranabbau: es gibt sowohl chemische Belastung der Umwelt durch giftige Metalle, die frei werden, als auch eine gewisse radioaktive Belastung. Zudem ist es umstritten, wie große Uranvorkommen noch existieren.
  2. Unfälle beim laufenden Betrieb eines Reaktors: es kann in verschiedenen Unfällen Radioaktivität freigesetzt werden, bei komplettem Kühlungsausfall und einer Beschädigung des Containments auch möglicherweise in erheblichen Maße.
  3. Abfall: es entsteht in verschiedenem Maße und sehr lange Zeit strahlender Abfall; eine auf Dauer sichere und zufriedenstellende Lagerstätte zu finden ist nicht einfach.

 

 

Ich will zu diesen Problemen einige Anmerkungen dazu machen.

zu 1): Jeder Bergbau verursacht Umweltprobleme und bei jedem Bergbau kommt es darauf an, wie man es macht – da ist sicherlich noch Verbesserungspotential, das man durch verbesserte Auflagen etc. zum Teil sicherlich auch ausschöpfen könnte. Die Begrenztheit – die in aktuellen Diskussionen kaum erwähnt wird – macht mir da schon mehr sorgen. Wenn es keine größeren neuen Vorkommen gibt und keine wesentlichen neuen technischen Erfahren industriell erschlossen werden, wird da wohl ein größerer Engpass nur noch eine Sache von Jahrzehnten sein – bei der Frage, wie viele Jahrzehnte es sind, gibt es natürlich, wie immer Streit, die Prognosen sind da irgendwo zwischen 2 und 20 Jahrzehnten.

Eine gewisse Abdämpfung des Uranmangels kann wohlmöglich durch Rückgewinnung von Uran aus Kohleasche aus Kohlekraftwerken geschehen, was aber sicherlich nicht mehr als 20% des Jahresverbrauches decken kann. Die größten Hoffnungen sind sicherlich Varianten des schnellen Brüters, wie z. B. der [URL=http://en.wikipedia.org/wiki/Integral_Fast_Reactor]Integral Fast Reactor[/URL], und die Gewinnung von Uran aus Meerwasser. Der Beweis, dass diese zuverlässig und kostengünstig im industriellen Maßstab funktionieren können, steht aber wohl noch aus. Zum Meerwasser lassen sich unterschiedliche Meinungen z. B. bei wikipedia und in einem Usenet-Eintrag finden.

 

zu 2): Was ein sicher ein realistisches, wenn auch sehr unwahrscheinliches Szenario ist, ist das einer (partiellen) Kernschmelze. Dabei können ein paar Dutzend Leute höhere Strahlendosen abbekommen, ein paar sterben; das Reaktorgelände und der nähere Umkreis können dauerhaft Probleme mit Radioaktivität haben. Wirtschaftlich natürlich ein Totalschaden. Dafür, wie unwahrscheinlich es ist, kann man es, denke ich, als Restrisiko hinnehmen, wenn man möglichst viel dafür tut, es zu vermeiden – d.h. gute Reaktoren bauen, regelmäßige Überprüfungen machen, bei zu großen Problemen, Reaktoren vom Netz nehmen….

Eine Katastrophe a la Tschernobyl ist bei einem gut gebauten Reaktor, denke ich, nicht sehr realistisch, selbst bei einem Flugzeugabsturz. – man muss dazu sagen, dass wir auch bei anderen Gebäuden bei Flugzeugabstürzen oder großen Naturkatastrophen keine 100%ige Sicherheit erwarten. Waren die World Trade Center schlecht gebaut, ist es ein unvertretbares Risiko solche Türme zu bauen? Was passiert, wenn man als Terrorist, statt in einem Atomkraftwerk Bomben hochgehen lässt, sie unter vollbesetzten Zügen anbringt? Was passiert, wenn ein Tsunami einen Zug trifft statt ein AKW? Wie viele Leute sterben jedes Jahr bei ganz banalen Industrie- oder auch Haushaltsunfällen, die sicherlich auch oft vermeidbar wären, wenn man nur genug Geld investieren würde?

Insgesamt ist die Gefahr von AKWs sicherlich real und ich habe auch ein mulmiges Gefühl, wenn ich an einen Unfall dort denke. Aber ich denke, man überschätzt die Gefahren aus zwei Gründen: erstens weil man große Unglücke (wie Tschernobyl, 9/11, normale Flugzeugabstürze etc.) an der durchschnittlichen Totenanzahl überschätzt, weil sie im Gegensatz zu der Frau, die die Treppe runtergefallen war, so im Gedächtnis hängen bleiben; zweitens, weil Atomkraft und Radioaktivität so einen mysteriösen Touch jenseits alles Alltags hat. Es ist nicht so banal wie ein Arbeiter, der bei Wartungsarbeiten von einem Windkraftwerk fällt, oder eine Ölraffinerie, die explodiert.

Es sei zusätzlich noch angemerkt, dass die allermeisten bekannten Sicherheitsrisiken oder Störfälle bei alten Reaktortypen entstanden. Mit moderner Kraftwerktechnik kann die Sicherheit natürlich noch deutlich höher sein. Brütertechnologien wie der Integral Fast Reactor versprechen aber leider nicht unbedingt höhere Sicherheit…

 

zu 3): Sagen wir man bringt den Atommüll in eine abgelegene Gegend in Nordnorwegen oder noch besser: in ohnehin schon strahlenbelastetes Gebiet von ehemaligen Reaktorunfällen und Uranminen? Atommüll ist etwas blödes, weil es so dauerhaft blöd ist. Aber wenn man es in eine abgelegene Gegend mit einem guten, festen Bauwerk in gutem festen Gestein unter der Erde bringt….ist es dann wirklich noch etwas so schlimmes? Außerdem kann man mit alternativen Kraftwerkstechnologien a la Integral Fast Reactor die Energie des Urans sehr viel besser nutzen und so Abfall produzieren, der sehr viel schneller ungefährlich wird [d.h. auf Strahlungsniveau von natürlich vorkommenden Uran reduziert wird].

 

Als Zwischenstand kann man sich fragen: welche dieser Probleme rechtfertigen einen schnellen Atomausstieg? Mehr Atommüll ist zwar nicht gut, aber im Vergleich zu dem, den wir bisher schon produziert haben, macht der von zwei weiteren Jahrzehnten den Braten auch nicht fett. Die Ressourcenknappheit wird bis dahin wohl auch noch nicht allzu akut werden [sonst wären die Chinesen und all die anderen, die jetzt Atomkraftwerke im großen Stil bauen, doch arge Deppen….]. Zur Sicherheit ist es wohl am besten, wenn man gerade die alten Reaktoren mit neuen Kenntnissen über mögliche Katastrophen einer gründlichen Überprüfung unterzieht und wenn sie nicht gut dabei abschneiden, sie abschaltet; ansonsten halte ich das Risiko für überschaubar.

Insgesamt sprechen so die Probleme keineswegs eine eindeutige Sprache für einen schnellen Atomausstieg, vor allem nicht für einen bis 2017. Bevor man langfristig auf Atomkraft setzt, sollte aber zumindest die Frage geklärt sein, ob es noch für die nächsten 100 Jahre mit vertretbarem Aufwand förderbares Uran gibt oder nicht und auch ein vernünftiges Konzept für die Mülllagerung sollte vorhanden sein. [das natürlich ganz unabhängig davon, dass eine langfristige Nutzung von Atomenergie auf erhebliche politische Schwierigkeiten stoßen würde.]

 


 

Was ist der Hauptwert von Atomkraft? Es werden zumeist zwei Argumente genannt:

 

  1. Atomkraft ist billig.
  2. Atomkraft produziert wenig CO2.

 

Zu beiden Punkten ist dieses Dokument des Umweltministeriums recht interessant. Das Fazit ist in etwa: Atomkraft hat durch Uranförderung und Urananreicherung auch durchaus „CO2-Kosten“. Diese hängen sehr stark von der Anreicherungstechnik ab. Benutzt man dafür wieder Atomstrom, so ist sie sehr gering, sicherlich geringer als bei in Deutschland produziertem Solarstrom, aber wohl sogar niedriger als bei Windkraft (siehe Tabellen S. 6 und 7). Sowohl mit Kohle- als auch Gaskraftwerken lassen sich wohl (deutlich) geringere Stromproduktionskosten als mit neuen AKWs erzielen. Da bei AKWs vor allem die Anfangsinvestitionen sehr hoch sind, ist die Lage vermutlich bei schon vorhandenen und laufenden AKWs deutlich anders, aber dazu finde ich leider in diesem Dokument keine Informationen. Aber es dürfte klar sein, dass sich wirtschaftlich eine längere Laufzeit von vorhandenen Reaktoren lohnt.

Dazu will ich noch einen dritten Punkt nennen:

 

3. Uran kommt in nicht unwesentlichen Mengen aus Kanada und Australien. Selbst in Deutschland gibt es kleinere Vorkommen. Dagegen sind viele Ölvorräte im nahen Osten konzentriert und auch Russland verfügt bekanntlich über große Öl- und Gasvorkommen. Es ist nicht schön, sich zu sehr von politisch verdächtigen Mächten abhängig zu machen…

 


 

Nun zum letzten Punkt, den Alternativen. Was machen, wenn man den Atomstrom abstellt. Kurz- bis mittelfristig sehe ich ungefähr 4 Möglichkeiten:

 

  1. Verstärkt auf fossile Brennstoffe wie Kohle- und Gas setzen. Das ist preisgünstig, Kohle ist auch en masse vorhanden. Wenn man nicht sehr an irgendwelchen CO2-Bilanzen interessiert ist, ist das sicherlich eine bedenkenswerte Möglichkeit.
  2. Wir importieren Strom.
  3. Wir bauen massiv Wind- und Solarkraft aus. Ein großes Problem hierbei ist, dass die Leistung sehr stark schwankt, je nach Wind und Wetter [schon jetzt haben wir Probleme, die Leistungsspitzen abzuführen!]. Das kann im wesentlichen auf zwei verschiedene Weisen ausgleichen werden:

3a): Wir bauen viele Kraftwerke, die sich schnell hoch- und runterregulieren lassen. Mit Kernkraftwerken ist das überraschenderweise wohl zumindest im Prinzip teilweise möglich; aber ideal wären hier natürlich Gaskraftwerke.

3b): Wir bauen Speichermedien. Die effektivste Möglichkeit wären wohl Pumpkraftwerke. Man pumpt mit überflüssigem Strom einfach Wasser nach oben, was man bei Bedarf dann sehr schnell wieder in Strom verwandeln könnte. Quasi ein künstliches Wasserkraftwerk. Nur wo bauen in Deutschland? Oder kann man die Norweger dazu überreden, diese en masse zu bauen?

 

 

Diese Punkte lassen sich natürlich auch kombinieren. Bei einem schnellen Atomausstieg würde das vermutlich auch passieren: ein bisschen mehr Solar- und Windkraft, ein bisschen mehr Kohlekraft, ein Stück mehr Gaskraftwerke, ab und zu ein wenig Strom importieren. Bei den erneuerbaren Energien sollte man aber zumindest zwei Sachen neben der enormen Leistungsschwankung beachten: Windkraft braucht sehr viel Platz; auch wenn man den Raum zwischen den Windkraftwerken natürlich im Prinzip nutzen kann, muss man sie dennoch über viele, viele Quadratkilometer verteilen. Zusätzlich ist noch ein großes neues Hochspannungsnetz nötig. Diese bei den Anwohnern im großen Stil durchzusetzen ist wohl fast so schwer wie Gorleben durchzusetzen, insbesondere wenn man zusätzlich noch Pumpkraftwerke anlegen will…

Aber man muss Windkraft sicherlich zugute halten, dass es relativ wirtschaftlich ist. Ganz im Gegensatz zu Solarkraft in Deutschland, was irre teuer ist. Ich habe nicht im Prinzip was gegen Solarkraft: in Spanien, in Südfrankreich, Nordafrika etc. Man kann sich gerne die Tabelle auf S. 13 von oben erwähnten Dokument des BMU betrachten; zwischen Deutschland und Spanien ist hier ein Unterschied von 30-50ct/kWh zu ungefähr 9-12ct/kWh. [zum Vergleich: Atomstrom 4,5-5,5; Kohlekraft 4-5; Kohlekraft mit Fernwärme 2,5-3,5].

 

Insgesamt möchte ich noch hinzufügen, dass mittel- bis langfristig angesichts der großen ökologischen Verwüstungen durch Erdöl und den begrenzten Kapazitäten, ein Ausstieg aus dem Erdöl nötig ist. Zwei der wesentlichen Strategien sind sicherlich, dass man Öl- durch Gas-Heizungen ersetzt und herkömmliche Autos durch z. B. Elektroautos ersetzt. Tendentiell wird jedenfalls dadurch der Stromverbrauch steigen.

 

Auf jeden Fall muss jeder, der den schnellen Atomausstieg fordert, auch eine brauchbare Alternative aufzeigen können. Und ich meine zumindest einige Punkte aufgezeigt zu haben, die dafür sprechen, dass ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland da nur begrenzt taugt und dem gegenüber die Atomenergie wohl mittelfristig mehr Vor- als Nachteile hat.

 

Padreic Verfasst von: