Warum betreiben wir Naturschutz?
Auf den ersten Blick scheint die Antwort einfach. Wir sehen uns als Teil der Natur und sind uns der vielfältigen Abhängigkeiten bewusst, die dem Überleben unserer Spezies zu Grunde liegen: vegetationsreiches Land, trinkbares Wasser, ein gemäßigtes Klima, stabile geologische Verhältnisse, Schutz vor bedrohlichen Krankheiten und anderem Lebensfeindlichen.
Soweit wir historisch zurückblicken, hat uns die Natur all das geboten, so dass sich die moderne Zivilisation weitgehend uneingeschränkt entwickeln konnte. Temporäre oder lokale Irritationen liegen in weiter Ferne und berühren das kollektive Empfinden allenthalben im Rahmen von Überlieferungen, Sagen und Mythen.
Nahe hingegen erscheint uns die Gefahr, die der Mensch aufgrund heutiger Technik für das globale Ökosystem darstellt.
Gleichzeitig ist es aber auch diese Technik, die uns andere Aspekte der Natur vor Augen führt. Wir können uns durch sie ein gutes Bild über globale Phänomene machen, wir wissen viel über die Entstehung des Universums bis hin zu unserem Sonnensystem, der Erde und deren Entwicklung. Wir wissen über die Zusammensetzung von Elementen, Molekülen und den Bausteinen des Lebens Bescheid und sind in der Lage, uns als Teil einer überaus komplexen Systematik zu begreifen.
So haben Untersuchungen gezeigt, dass der Weg hin zum modernen Menschen immer wieder von großen Rückschlägen gezeichnet war. Geologische Aktivitäten, Seuchen, Bedrohungen durch Einschläge aus dem Weltraum und vieles mehr sind reale Gefahren, denen das Leben von Anbeginn an immer wieder ausgesetzt war und dem es sich auch immer wieder stellen muss.
Je komplexer die entstandenen Strukturen sind, desto anfälliger reagieren sie auf Umwälzungen der Natur. So gab es immer wieder Katastrophen, die die Entwicklung um lange Zeiträume zurückgeworfen haben und aus denen neuere, manchmal sogar noch komplexere Organismen hervorgegangen sind – bis hin zu uns, dem heutigen Menschen.
Was wollen wir also schützen, wenn wir Naturschutz betreiben?
Sehen wir uns die Entwicklung an, scheint die Natur bisher keinen Schutz benötigt zu haben, um sich immer wieder neu zu entfalten. Bislang hätte sie auch bloß vor sich selbst beschützt werden können und selbst heute scheint der Mensch mit all seinen gewaltigen Mitteln klein und ohnmächtig im Vergleich zu den Naturgewalten.
Läuft ein Öltanker auf hoher See leck, ist das für die Umwelt tragisch. Treten durch tektonische Verschiebungen natürliche Ölvorkommen an die Erdoberfläche oder ins Meer, entsteht ein neuer Naturpark. Gewertet wird dies nicht von der Natur, sondern vom Menschen. Wir bestimmen, was erhaltenswert ist und was nicht, was einen höheren Rang hat und was einen niedrigen. Die Natur kennt derlei Kriterien nicht.
Ebenso wenig hat die Natur eine Vorstellung davon, dass ihr die Technik des Menschen schade. Genau genommen ist die Technik über den Menschen aus der Natur hervorgegangen und somit Teil von ihr. Ohne weiteres könnte unsere Technik die Möglichkeit eröffnen, uns mit künstlichen Wärmequellen, mit Gewächshäusern oder sogar in Raumstationen vom direkten Einfluss zerstörerischer Naturaktivitäten zu emanzipieren. Das Leben wäre so vielleicht in der Lage, die nächste Katastrophe in seiner gesamten Komplexität zu überstehen.
Können wir die Natur überhaupt schützen?
So wenig wir einen Vulkanausbruch und dessen Folgen für die Erde verhindern können, so sehr nehmen wir der Entfaltung des Lebens die Chance, wenn wir die technischen Möglichkeiten zurückschrauben, die uns helfen könnten, die Folgen eines solchen Ereignisses zu überstehen.
Die Triebkraft für den Naturschutz kann darum kaum eine vorausschauende Entwicklung sein, sondern sie ist eher in der Angst vor Veränderung zu verorten. Je mehr wir aber über unser Leben und seine Zusammenhänge erfahren, um so deutlicher wird, dass es keinen Stillstand geben kann. Es gibt Sackgassen, es gibt Neuanfänge und es gibt Fortschritt. Eine Klimaveränderung aufzuhalten ist ebenso unmöglich wie die Drehung der Erde zu stoppen; und der Versuch ist eben so sinnlos.
Sollen wir die Natur überhaupt schützen?
Technik ist aus Sicht der natürlichen Entwicklung nur eine weitere Evolutionsstufe, die uns vielleicht einmal sogar von unsrer Heimat, dem Planeten Erde oder gar von unserem Sonnensystem unabhängig macht. Leben strebt dazu, sich auszubreiten und wenn wir unsere Fähigkeiten effektiv einsetzen, könnten wir in diese Richtung große Schritte tun.
Es ist die Eigenart des Menschen, sich aus den Fängen der Mutter Natur zu befreien. Er ist das erste Wesen, dass die Natur als sein Gegenüber auffassen kann und so auf die Idee, sie zu schützen, gekommen ist. Grund dafür ist unsere Fähigkeit, nicht wie andere Lebewesen auf eine spezielle ökologische Nische angewiesen zu sein, sondern uns (und anderen) ein solches Refugium selber bauen zu können.
Der unserem Wesen entsprechende Auftrag kann also nur sein, die Natur vorwärtszubringen, sie zu kultivieren. Nicht der Naturschutz steht dabei im Vordergrund, sondern die Entfaltung und Veredelung, zu der vor allem ein sinnvoller Einsatz unserer technischen Möglichkeiten gehört.