langsam geht es mir auf den geist. zu allem und jedem hört man heute, man müsse über werte diskutieren, es gebe einen werteverfall, etc. wenn man dann fragt, welche werte überhaupt gemeint sind, bekommt man i.d.r. lapidare antworten, wie „christlich abendländische“ oder „die der aufklärung“ oder beides (z.b. bei herrn clement). was das aber genau heisst, weiss anscheinend keiner. reicht es, nett zueinander zu sein?
zu allererst wird meiner ansicht nach zu wenig zwischen zwei aspekten unterschieden: dem wert selber, und dem menschen, der sich nach ihm richtet.
zum ersten ist wohl zu sagen, dass er gar nicht verfallen kann. ein wert ist immer ein wert aus sich selber heraus, und wenn etwas in sich gut oder weniger gut ist, dann letztlich unabhängig vom betrachter. worauf die wertediskussion wohl meistens eher abzielt ist der zweite punkt: man beklagt, dass menschen traditionellen werten nicht mehr folgen. hierbei von einem werteverfall zu sprechen, oder gar dazu aufzurufen, werte vorzuleben, halte ich aber in der regel für heuchelei.
menschen werten ja im grunde bei all ihren handlungen oder einschätzungen. sie ziehen das eine vor, das andere setzen sie hinten an. statt werteverfall kann man darum wohl höchstens einen wertewandel feststellen, auch wenn dieser besonders ins auge fällt, wenn menschen das eigene wertesystem verlassen. wohlgemerkt: der wert ändert sich hier letztlich nicht, sondern das, was man als wertvoll gewichtet.
ich denke, eine sinnvolle diskussion zu diesem thema kann erst hier beginnen. die auf der hand liegende frage ist ja, ob wertesysteme nun wirklich beliebig sind und sich einfach jeder eins aussuchen kann, oder ob den gewählten werten auch ein realer wert zugrunde liegen kann (was meine position ist, wie oben ja schon angededeutet ist). wenn man nun also behauptet, ein werteverfall sei zu beklagen, dann ist man wohl implizit der ansicht, dass das verlassene wertesystem höherrangig ist, als das neue, welchem neuerdings vermehrt gefolgt wird. einen werterelativismus zu predigen, dann aber einen verfall zu beklagen, ist wohl in der weise widersprüchlich, dass man dazu nichts weiter zu sagen braucht.
geht man aber davon aus, dass es tatsächlich „wahre“ werte gibt, die einzuhalten moralisch geboten ist, so ist man schon auch eine begründung schuldig, die allgemein verständlich erklärt, warum nun der eine wert ein wirklicher ist, ein anderer nicht – wobei zu allererst wohl auch eine nennung der entsprechenden werte gehört. das reine diskutieren eines werteverfalls oder wandels ohne überhaupt konkrete werte zu benennen ist nur dann sinnvoll, wenn man keinen a priorischen wertekatalog besitzt, dem deontologisch gefolgt werden soll, sondern wenn man einer evidenten systematik das wort redet, wie beispielsweise dem kategorischen imperativ kants.
persönlich bin ich hier der ansicht, dass all diese durchaus sehr vernünftig hergeleiteten systematiken letztlich nichts bringen. niemand, oder sicher nur eine minderheit, folgt einem wert einzig und allein darum, weil er vernünftig scheint, vor allem, wenn man sich damit in einen nachteil versetzt, oder sich anderweitig eher profilieren kann. dass eine gesellschaft aus individuen bestehen sollte, die wider den eigenen vorteil an einem wertesystem festhalten, welches sie durchdacht haben und für richtig empfunden haben, würde ich in den bereich der gefährlichen tagträume verweisen.
werte werden auch dann gegen den eigenen direkten vorteil eingehalten, wenn sie grundsätzlich mit der eigenen lebensphilosophie harmonieren und durch erziehung oder anderweitig angeeignete überzeugung in fleisch und blut übergegangen sind. der vorteil der christlich abendländischen kultur war es, einen wertekanon zu liefern, der bis über den tod hinaus durch eine übermenschliche kraft getragen und letztlich auch sanktioniert worden ist. wer nicht versucht, ein leben zu führen, in dem die liebe gottes transparent wird, weil er beispielsweise an gott nicht glaubt, wird auch die aus diesem geist geborenen werte über kurz oder lang fallen lassen.
das besondere der christlichen ethik, nämlich einerseits ein konkretes wertesystem zu liefern, welches auf der anderen seite systematisch nachvollziehbar ist und zudem personal initiiert und getragen ist, kann eine aufklärung nicht imitieren. sie versucht einzig ein rationales ethikmodell vorzustellen und lebt davon, quasi verschleiert den christlichen wertekatalog mitzuführen. je weiter sie sich aber systematisch gegen das christentum richtet (weg von dem streben nach höherem, der christusnachfolge und dem eins werden in der liebe und hin zu dem rationalen minimalismus alles zu erlauben, was anderen nicht schadet) um so mehr werden die transportierten werte nicht mehr verstanden und auch nicht mehr befolgt.
da diese schleichende entwicklung ja nun alles andere als neu ist, nutzt es wohl auch wenig, bei jedem politischen skandal darüber zu jammern…