Ein Urteil könne man sich nur dann bilden, wenn man das betreffende Objekt ausreichend studiert habe, ist eine landläufige Meinung. Dementgegen spricht die immer gängigere Praxis, sich vor einer Entscheidung nur noch grob zu informieren. So erklärte mir ein Freund vor einiger Zeit, warum Österreich den Deutschen angeblich zehn Jahre hinterherhinke: In unserem Nachbarland müsse man nämlich noch sagen, dass man Goethe gelesen habe, wenn man ihn verreißen wolle. Hierzulande reiche es völlig zu behaupten Goethe sei uninteressant und darum lese man ihn erst gar nicht.
Eben in dieser fortschrittlichen Gesinnung erlaube ich mir nun, Peter Jacksons neustes Machwerk zu kritisieren, ohne auch nur den Trailer gesehen zu haben.
Im Grunde reicht dazu ein Blick auf weitere seiner Filme, wobei nicht einmal „Der Herr der Ringe“ zu Rate gezogen werden müsste. Jacksons Metier, das wird schnell deutlich, sind die Spezialeffekte, wie er sie schon früh in SF-Fantasy-Horror-Streifen umsetzte. Allein seine Vorliebe für King Kong zeigt einen Hang zum Bombastischen, der auf leise Töne wenig Wert legt. Sehen wir uns sein Hauptwerk dennoch an, so sticht stellvertretend für viele ähnliche Eskapaden die Szene in Moria, kurz vor der Brücke von Khazad-dûm, ins Auge. Obwohl sie eigentlich im Drehbuch gar nicht vorgesehen war, gefiel Jackson die an Indiana Jones erinnernde Episode derart gut, dass er sie kurzfristig mit beibehielt. Ganz allgemein lässt sich sagen, große Schlachten, düstere Kreaturen (oder vielleicht besser Monster), gepaart mit beeindruckenden Kulissen, das ist Jacksons Welt. Subtile Themen, Charakterentwicklungen, das Erzählen einer fesselnden und vor allem auch stimmigen Geschichte, all das tritt als Nebensache zurück.
Nun mag man einwenden, auch Tolkien habe die Ansicht vertreten, das Erzählen einer Geschichte sei ein notwendiges Übel, eigentlich ginge es dabei um etwas völlig anderes, doch genau dieses andere, worum es beim Geschichtenerzählen geht, unterscheidet sich bei Jackson und Tolkien fundamental. Legt Tolkien gerade auf die feinen Töne persönlicher Beziehungen starken Wert, umreißt er die großen Fragen der Menschheit nach Sinnhaftigkeit, unerfüllter Sehnsucht, Hoffnung und Liebe, so stürzt sich Jackson vor allem in die Ausgestaltung des Banalen, Groben und Unmenschlichen. Kriege, Schlachten, Orks und ihre Apparaturen nehmen in Jacksons Schaffen einen dominierenden Platz ein, wo sie bei Tolkien meist nur am Rande, oft auch nur als angedeutete Gefahren auftreten.
Kommen wir nun zum Hobbit.
Bei diesem handelt es sich um ein Kinderbuch. Allein schon die Gattung der Hobbits hat bekanntlich mit dem Lärm großer tapsiger Leute nicht viel am Hut. Auch muten die Abenteuer des Bilbo Beutlin eher beschaulich an: Selbst die gefährlichsten Gegner lassen sich mit kleinen Tricks überlisten, ohne dass man sie durch grobes Gemetzel bezwingen müsste. Zwischendrin gibt es reichlich Erholung, und neben dem regelmäßigen aber nicht unsympathischen Gejammer des Hobbits erhält man ausführlich Gelegenheit, durch humorvolle Anekdoten in eine bizarre Welt einzutauchen, die trotz mancherlei Übel eher friedlich und romantisch daherkommt und selbst an den düsteren Orten nicht allzu bedrohlich wirkt.
Wie Jackson sich diesem Buch nähert, ist kein Geheimnis. Hätte die Werbeindustrie nicht schon in zahlreichen Ankündigungen explizit darauf hingewiesen, könnte man sich dennoch gut vorstellen, dass ein solches Ambiente unserem Regisseur bei weitem nicht ausreicht. Wie sollte er beim Thema Tolkien auch an dem schier unerschöpflichen Repertoire von Alptraumgestalten, die eine komplex ausgearbeitete mythische Welt nun einmal birgt, vorbei gehen? In bester Goldgräbermanier muss er sich natürlich auf die dort vorhandenen finstersten Gestalten, üblen Machenschaften im Hintergrund und unzähligen bedrohlichen Szenarien stürzen. Das Ergebnis kann dabei wie schon im „Herr der Ringe“ gehabt nur eines sein: Ein Splatterfilm mit der Hack & Slay-Ästhetik bekannter Fantasy-(Rollenspiele).
Dass man auf diese Weise kein Kinderbuch verfilmt, sondern dass vor allem der Versuch unternommen wird, an den Hype alter Tage anzuschließen, liegt auf der Hand. Da Jackson wohl intuitiv selber weiß, dass der damalige Effekt seiner Tolkien-Filme nicht auf gekonnte Erzählkunst zurückzuführen war, sondern eher in aufwändigen CGI-Effekten begründet lag, musste für den Hobbit etwas Neues her: die 3D-Technik. Glaubt man aktuellen Filmkritiken jedoch, so kann man in anderen Filmen heute dahingehend Professionelleres bewundern.
Ich habe seinerzeit, die Verfilmung des „Herr der Ringe“ mit Melkors Musik aus der Ainulindale verglichen, welche sich gegen Iluvatars Thema versucht mit Lautstärke und einem immer wiederholendem blechernen Gleichklang durchzusetzen. Dabei habe ich die Hoffnung geäußert, dass das Röhren Jacksons gegen das Lied Tolkiens keine Chance haben werde. Mit dem Hobbit sehe ich mein Anliegen mehr und mehr erfüllt. Wurde man damals schon bei leichter Kritik an Jacksons Werk schnell für nicht satisfaktionsfähig erklärt, liest man heute sogar in Mainstreammedien recht kritische Rezensionen zum Hobbit. Statt eines neuen Hypes, scheint der aktuelle Film die alten eher zu entmystifizieren und ihre Schwächen bloßzulgen. Man darf also durchaus auf die nächsten beiden Teile gespannt sein.
Während Jackson sich zukünftig vielleicht mehr auf Filme zu Steven King konzentrieren könnte, was durchaus zu ihm passen würde, wäre es nicht schlecht, wenn seine Tolkien-Filme anderen einen Anlass zu Neuverfilmungen geben würden. Das Eis, also die angebliche Unverfilmbarkeit der tolkienschen Erzählungen, ist jedenfalls gebrochen und ich bezweifle nicht, dass es Regisseure mit mehr Einfühlungsvermögen gibt.