Trittbrettfahrer des Terrors

Fast jeder, der über das Massaker in Norwegen schreibt, beginnt seinen Text mit Worten der Fassungslosigkeit, mit Hinweisen wie unvorstellbar das Ganze ist, wie krank der Täter sei und wie irrational die Tat sei. Dabei scheint es meistens vor allem darum zu gehen, sich selbst nach allen Richtungen abzusichern und ja keinen Angriffspunkt zu bieten, insbesondere wenn man bis dato Positionen vertreten hat, mit denen sich auch Anders Behring Breivik in seinem Manifest schmückt.

Da ich mir angewöhnt habe, nach Gutdünken alles zu kommentieren, was man mir ungefragt vorsetzt, habe ich mich entschlossen, mich auch zu diesem Thema kurz zu äussern, denn ein Totschweigen wie es sich viele wünschen, ist nach derzeitiger Faktenlage eh nicht mehr möglich. Ich werde mir allerdings verkneifen, mich am oben angedeuteten Wettbewerb „wer findet das abstoßendste Adjektiv” zu beteiligen. Dies mag zwar nicht dem Bedürfnis vieler Leser entsprechen, die sich an detaillierten Beschreibungen und bildhafter Sprache laben, aber ich schreibe ja auch nicht zur Wunscherfüllung, sondern mehr zur Sammlung eigener Gedanken.

Im Grunde, und ich weiß nicht, ob ich da ganz allein bin, interessiert mich der norwegische Mörder überhaupt nicht. Was mich aber mittlerweile durchaus interessiert, sind gewisse Reaktionen auf seine Bluttat, denen ich mich nicht zu entziehen vermag. Ich meine damit vor allem das Phänomen der Trittbrettfahrer, die anscheinend nur auf derartige Ereignisse warten, um den politischen Gegner mundtot zu machen. Das beste Beispiel dafür findet sich hier.

Mir ist es reichlich egal, wer welche Position wofür verantwortlich macht, ob jemand rechts, links, modern oder konservativ ist und was das für den Täter oder denjenigen, auf den er sich beruft, bedeutet. (Auch wenn man sich durchaus vor Augen führen sollte, was für Konsequenzen es hat, jemanden zu beschuldigen, weil ihn ein Täter als Inspirationsquelle nennt…). Von Belang wird das Thema für mich erst, wenn ich mich mit konkreten Auswirkungen der Aggression konfrontiert sehe. In diesem Fall geschieht das, indem man mich auf Grund meiner allgemeinen Ansichten mit einem Killer in einen Topf wirft.

Die Aggression dieser Wortführer erlebe ich deutlich unvermittelter, als die Berichte aus dem fernen Norwegen, mit ihren skurril wirkenden Jagdszenen, die in puncto Grausamkeit eher an phantastische Geschichten erinnern, als an die heutige Tagespolitik. Es erschreckt mich weit mehr, dass es besonders in intellektuellen Kreisen mittlerweile fast zum guten Stil gehört, Gewalt allein beim politischen Gegner anzuprangern und sie in der eigenen Gruppe zu bagatellisieren. Speziell das Anklagen wird dabei gerne im „gerechtem Zorn” vorgebracht, was die eigene Aggression zu legitimieren sucht. Die Art der Entrüstung, die den Wortführer nicht nur freispricht von jeder Schuld, sondern das Übel an der Wurzel zu packen scheint, offenbart genau dieses Gefühl von Macht und Überlegenheit, aus dem das Unheil regelmäßig seinen Lauf nimmt. Kaum jemand merkt dabei, wie sehr er sich gerade in diesen vermeintlich gerechten Hasstiraden mit Bösem verstrickt.

Die Aggression des Täters ist uns dabei längst nicht so fremd, wie wir uns und andere gern glauben lassen. Sie ist auch nicht dumm, unlogisch oder unerklärbar, sondern tief in uns allen verwurzelt. Dabei ist sie sogar äußerst intelligent und verschlagen. Das Böse begegnet uns nicht nur in großer Entfernung, damit wir uns echauffieren können und moralisch Position beziehen sollen, es trifft uns hier und jetzt, direkt vor unseren Augen, vor allem in uns selbst. Indem wir auf andere zeigen, je nach Temperament mit Beschimpfungen oder psychologischen Theorien geschmückt, sind wir in erster Linie bemüht, uns ja nicht mit den eigenen Abgründen auseinandersetzen zu müssen. Die Intelligenz des Bösen zeigt sich nicht bloß in logistischen Leistungen eines Terroristen, der über Jahre eine erfolgreiche Tarnung zur Durchführung seiner Ziele errichtet, sie zeigt sich genauso in unserem anspruchsvollen Netz an Argumenten, mit denen wir das Verbrechen nutzen, um den politischen Gegner mundtot zu machen.

Was wir vor allem benötigen, um dieser persönlichen Anfechtung des Bösen zu entgegnen ist keine neue Theorie, sind keine Psychologen und Soziologen, die letztendlich irgendwelche neuen Behandlungsmethoden, Gesetze oder einen verstärkten Polizeieinsatz fordern, zuerst brauchen wir einen offenen Blick auf uns selbst, auf das Potential, das im Menschen grundsätzlich vorhanden ist. Wir werden die Gewalt aus der Welt nicht entfernen können, aber wir können lernen, uns selber in den Griff zu bekommen. Dies ist ein langer Prozess persönlicher Reife, ein Wachsen in der Fähigkeit zu lieben, eben auch diejenigen, die uns nicht wohl wollen. Solange wir jeden medial kommunizierten Akt der Barbarei sofort zum Anlaß nehmen uns gegenseitig zu beschuldigen und anzugreiffen, brauchen wir in keiner Weise von oben herab auf Leute wie Herrn Breivik zu schauen.

Thod Verfasst von:

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.