Wer behauptet, wir leben in Zeiten kurzer Texte, wo Informationen mehr zählen als Erklärungen und wo es aufgrund deren Vielzahl besondere Aufmerksamkeit erhaschende Zuspitzungen braucht um gehört zu werden, wird kaum überraschte Blicke ernten. „Powerpointisierung“ umschreibt diesen Zustand schon seit längerem in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
Nicht nur kirchliche Dokumente, sondern alle Schriften, denen eine differenzierte Herangehensweise zu Grunde liegt, leiden darunter in zweifacher Weise:
- Aufgrund der notwendigen Länge und etwaigen Anstrengung, die diese den Leser kostet, werden die Texte so gut wie von niemandem gelesen.
- Da man aber dennoch schnelle Informationen zu vermeintlich für den Leser interessanten Schlagworten bieten will, wird der Text nach Reizthemen durchsucht, was mit technischen Mitteln heute ein Leichtes ist und in vorgefertigte Schablonen gepresst.
Wer vorsichtig ist, wartet ein paar Stunden auf die ersten Kommentare Dritter, um sich keine offensichtliche Blöße zu geben und die Stoßrichtung zu prüfen, wer von seiner „Mission“ überzeugter ist, präsentiert seinen Kommentar nahezu zeitgleich mit dem veröffentlichten Dokument – wohlgemerkt ganz unabhängig von Länge und Komplexität der Vorlage, denn wer zuerst kommt, gibt für viele Weitere die Stoßrichtung der Interpretation an.
Sehr gut konnte (und kann) man dieses Vorgehen am aktuellen Lehrschreiben von Papst Franziskus „Amors Laetitia – die Freude der Liebe“ beobachten.
Nach langer Spekulation, das ist mittlerweile wohl auch kein Geheimnis mehr, lagen wohl in allen namhaften Redaktionen Interpretationen des Schreibens in der Schublade, die nun mit ein paar Zitaten angereichert, um das Interesse der Leserschaft buhlen.
Was also soll man nun als Katholik auf die Fragen derer antworten, die mit den Ergüssen aus WeLT, SZ und ähnlichem an einen herantreten? Nun – man darf zugeben (wenn es so ist) den Text nicht gelesen zu haben und sich darum eines abschließenden Urteiles enthalten, denn auch wir leben in der oben beschriebenen Zeit kurzer und mannigfaltiger Informationen und Anfragen, in der wir nicht immer gleich Texte von hunderten Seiten tief und gründlich durcharbeiten können (und wollen).
Zudem gibt es ein paar grundsätzliche Einsichten, denen zu folge das auch gar nicht nötig ist. Kein Lehrschreiben wird die Bibel oder die Jahrtausende alte kirchliche Tradition neu erfinden. Andererseits ist auch nicht zu erwarten, dass laxe Handhabungen in Diözesen, die kirchlicher Lehre mehr oder weniger deutlich widersprechen, vom aktuellen Papst effektiv unterbunden werden. Es werden also viele unzufrieden sein, insbesondere wer sich einen deutlicheren Bruch mit der Dogmatik gewünscht hat, wer enttäuscht ist, dass alles beim Alten bleibt und schließlich diejenigen, die sich eine deutlichere Rückkehr zur Überlieferung gewünscht hätten.
Im Wesentlichen wird man aber schnell zum Alltag übergehen. Gläubige werden weiter glauben, engagierte Ungläubige werden weiter auf einen noch schnelleren und verstärkten Wandel kirchlicher Praxis hoffen und ein paar werden das Schreiben zum Anlass eines Kirchenaustrittes nehmen.
Anfragen an den Glauben und die kirchliche Lehre kann man derweil nach wie vor aus dem eigenen Glauben und Verständnis heraus wohlwollend und einfühlsam beantworten.
So what?