Wir wohnen im Vorort einer größeren deutschen Stadt. Neben Gründerzeitvillen und vereinzelten Neubauten gibt es klassische Reihenhaussiedlungen, die Verkehrsanbindung ist optimal, Einkaufszentren, ein Fernbahnhof, ein großzügig angelegter Stadtpark entlang eines kleinen Flüsschens, an dem man nahezu grenzenlose Wanderungen oder Radtouren unternehmen kann, alles ist fußläufig.
Man gibt sich weltoffen und modern. Kinder werden in kostspieligen bilingualen Kitas untergebracht, viele Mütter sind auf einen schnellen Wiedereinstieg in die Berufswelt bedacht, die Gärten sind gepflegt, man sieht teure Autos, Wohnmobile, vereinzelt sogar eine Jacht im Vorgarten. Die klassische Umgebung der deutschen Mittelschicht, könnte man sagen, die Grünen liegen bei 30%, die AfD schafft gerade so die 5%-Hürde.
Der gemäßigte Wohlstand drückt sich auch in der Anzahl der Kinder aus. Wir sind mit unseren Vieren nicht allein, es gibt richtige Großfamilien in direkter Nachbarschaft, neu Hinzugezogene dürften ein Problem bei der Suche nach einem freien Platz beim Kinderarzt bekommen. Die grüne Lebensphilosophie trifft hier auf Kinderreichtum.
Eigentlich, so könnte man vermuten, sollte dies der ideale Ort sein, an dem sich das klassische Gedankengut moderner linksintellektueller Staatstheoretiker in der Praxis erprobt. Neben nachhaltigen ökologischen Konzepten gehört dazu vor allem die Gleichstellung von Mann und Frau, die insbesondere durch das permanente Gender- und Feminismus-Trommelfeuer in den Medien als Kernanliegen der Bewegung dargestellt wird.
Ganz so einfach ist es anscheinend dennoch nicht, sich über Archetypen menschlichen Empfindens hinwegzusetzen. Seit wir nämlich festgestellt haben, dass auf unsere drei Mädels ein Junge folgt, vergeht keine Begegnung ohne die obligatorischen Hinweise, dass ich ja nun als Vater endlich Unterstützung erhalten würde, ob er sich unter den Frauen denn überhaupt frei entwickeln könne – meist mit reichlich mitleidigem Unterton. Wie selbstverständlich wird mit unterstellt, dass ich all die Jahre ja nur darauf gewartet hätte, endlich einen männlichen Thronfolger zu zeugen und dass ich ja nun, wo das Werk vollbracht sei, mit der Familienplanung abschließen könne.
Man kann es schönreden und hindrehen wie man will, der Eindruck, dass quer durch die Bank vor allem auch Frauen einen männlichen Nachfolger für besonders erstrebenswert halten, drängt sich in aller Deutlichkeit auf. Auf den Gedanken, dass ich meine Mädels von Herzen liebe und ich mir keine besseren Kinder wünsche oder gewünscht habe, scheint niemand zu kommen. Die zahlreichen und stereotypen Gespräche lassen für mich keinen anderen Interpretationsspielraum zu: Jenseits abstrakter akademischer Theorien, bleibt ein beachtlich großer Teil der Menschheit in archaischen menschlichen Denk- und Verhaltensmustern hängen.
Meiner Einschätzung nach hängt die Bevorzugung männlicher Nachkommen nämlich an einer einfachen biologischen Grunderfahrung. Will man seine Gene möglichst weit verbreiten, sind männliche Nachkommen im Vorteil; Zeugung ist dem Gebären allein schon quantitativ deutlich überlegen. Erst komplexe Sozialstrukturen, wie sie beispielsweise das Christentum bietet, lassen uns von der Natur unabhängige Schwerpunkte setzen. Sehe ich den Menschen als Person, wird das Geschlecht zwar völlig im Gegensatz zum Gender Mainstreaming als prägender Bestandteil aufgefasst, aber eben nicht im Sinne einer unterschiedlichen Wertigkeit.
So unterschiedlich Männer und Frauen sind, so irrelevant sollte es für liebende Eltern sein, welches Geschlecht die ihnen geschenkten Kinder haben.