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Politische Debatte
In der politischen Debatte wird der Islam in erster Linie vor dem Hintergrund muslimischer Gewalttäter diskutiert. Angesichts der Entwicklungen insbesondere in den letzten Jahren, ist das auch nicht verwunderlich. Täglich gibt es Auseinandersetzungen mit Messern, Gruppenvergewaltigungen, sogenannte Clankriminalität, und dass die Täter keine Muslime sind, ist eher die Ausnahme.
Die Täter stammen nicht selten aus Kriegs- und Krisengebieten, sie werden in Deutschland, beginnend mit der Erstunterbringung, bis hin zu Perspektiven, später einmal am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, in strukturell problematisches Umfeld gesetzt. Das aber wird kaum thematisiert, denn sowohl die Probleme ihres Ursprungslandes als auch die Gesellschaft, in die sie hierzulande geraten, ist kulturell meist stark vom Islam geprägt und so wird dieser gern pauschal als Ursache angesehen.
Hinzu kommen Nachrichten über gewaltbereite Prediger, die Gläubige ihren Gastgebern gegenüber aufwiegeln, es werden Aussagen aus dem Koran zitiert, die eine feindliche Gesinnung gegen Nichtmuslime belegen und die geschichtliche Entwicklung von Ländern, in denen der Islam den Ton angibt, widerspricht in vielen Bereichen der hier etablierten Moral und Lebensart.
Dennoch gibt es auch positive Stimmen. Gerade in linksintellektuellen Kreisen ist der unter Muslimen verbreitete Antisemitismus anschlussfähig. Im Islam fußt er auf der Rivalität der drei monotheistischen Buchreligionen, also dem Christentum, dem Judentum und dem Islam, ist also gar nicht singulär auf Juden bezogen. Die Erzählungen und Empfindungen von Muslimen, die über den Staat Israel Klagen verfangen hierzulande besonders bei Sozialisten und vereinen sich dort mit Vorstellungen vom jüdischen Kapital oder einer großen zionistischen Weltverschwörung, was dann als scheinbar legitime Israelkritik vortragen wird.
So ergibt sich nicht selten sogar für jene, die sich intensiv mit der Schoa auseinandergesetzt haben, oder dies zumindest von sich glauben, und die unter der Belastung dieser geerbten Schuld nach Auswegen und Erlösung suchen, durch das muslimische Narrativ eines faschistischen israelischen Staates, der sie angeblich aus ihren angestammten Gebieten vertreibe, ein emotionaler Ausweg. Man kann sich mit den modernen Opfern eines als übergriffig deklarierten Staates solidarisieren, dabei all die alten Klischees vom schlechten Juden wieder aufleben lassen und sich sogar noch moralisch überlegen fühlen.
Politische Vertreter ergehen sich, wenn sie auf Probleme angesprochen werden, gern in Floskeln wie „nun sind sie halt mal da“ oder sie sprechen davon, dass der Islam nun einmal zu Deutschland gehöre. Beides ist so richtig wie sinnlos, denn nur weil jemand da ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch da bleiben muss, und natürlich ist auch die Zugehörigkeit kein Qualitätsnachweis. Die Pest mag auch zur Renaissance gehört haben.
Wie auch immer. Die einen fühlen sich durch eine fremde Kultur bedroht, die anderen begrüßen sie, zumindest als temporären Streitgenossen, und eine Lösung ist nicht in Sicht. Denn einerseits kann man Millionen an Muslimen nicht einfach so loswerden, was einen Weg des gemeinsamen Auskommens allein aus praktischen Gründen notwendig macht. Andererseits scheinen die kulturellen Differenzen schier unüberwindlich, denn sowohl die Traditionen der Zuzugsländer (die oft weit älter sind als der Islam) als auch auch die innerislamischen Themen, machen es unwahrscheinlich, in den nächsten Generationen zu einer homogenen Gesellschaft zusammenzuwachsen.
Wenn wir vor diesem Hintergrund die Gewaltspirale nicht noch weiter drehen wollen, sollten wir beginnen, uns mit den Muslimen im Lande näher zu beschäftigen. Dazu gehört auch, bei aller Kritik und allen Konfliktpunkten, ein Verständnis zu entwickeln, welches über das reine Aufzählen von Grausamkeiten hinaus geht. Reine Ablehnung und Herabwürdigung führen letztlich zu einer Verstärkung der Opposition. Sie fügen die Geschmähten immer fester zusammen und provozieren damit genau jenes Verhalten, dass sie bekämpfen möchten.
Das heißt nicht, dass man alles für gut und richtig halten muss, dass man nicht auch scharfe Kritik äußern darf, aber aus dem Bestreben nach Verständnis heraus und sachlich. Dabei ist es hilfreich, wenn man sich schon einmal grundsätzlich mit religiösen Weltbildern auseinandergesetzt hat, wenn man die eigene Tradition und die christliche Lehre zumindest in Ansätzen kennt, um so Verständnis für Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Dazu sollen im folgenden drei Punkte angesprochen werden.
Das Wort Gottes
Als meine Tochter unlängst von der Schule kam, erzählte sie vom Religionsunterricht, der sich thematisch mit den Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum beschäftigt hatte. Und wie so oft wurde den Kindern gleich von Anfang an eine Idee in den Kopf gesetzt, die nicht so leicht zu korrigieren ist, aber das Grundverständnis vom Verhältnis der Religionen von vornherein auf eine falsche Spur setzt.
Den Vergleich selbst wird vermutlich kaum jemand auf den ersten Blick als problematisch ansehen, denn viele haben intuitiv dieselbe Vorstellung: Mohamed wurde mit Jesus und der Koran mit der Bibel vergleichen als stünden beide Bezugspaare auf derselben Ebene. Dem ist aber mit Nichten so.
Beginnen wir mit dem ungleichen Paar: „Mohamed“ und „Christus“.
Wenn man beide auf dieselbe Stufe stellt, hat man gleich zu Beginn die christliche Deutung verlassen und sich einer innerislamischen Interpretation unterworfen, denn im Islam sind beide Personen Propheten. Nach christlicher Vorstellung aber ist Christus Gott. So beginnt das Johannesevangelium mit den Worten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Das Wort, so wird später ausgeführt, ist Christus, der von Anfang an eins mit den anderen göttlichen Personen ist und somit auf einer ganz anderen Stufe steht, als Mohamed im Islam.
Das muslimische Pendant zu Christus, der das Wort Gottes ist, wäre der Koran! Dieser gilt dort als unverfälschtes Wort Gottes, über den Erzengel Gabriel dem Mohamed direkt eingegeben. In der muslimischen Tradition gibt es hier noch weitergehende Spekulationen, die Christen fast schon als Ansatz zur Trinität sehen können, wenn auch nur als „Binität“ mit zwei Personen. Die Rede ist vom „Himmlischen Koran“, der seit Anbeginn ein Aspekt Gottes ist, in dem er sich quasi selbst ausspricht, bevor er ihn durch den Engel an den Propheten schickt.
Ob man das Wort Gottes, oder anders ausgedrückt die zweite Person Gottes, als festgeschriebenes Buch, mit konkreten Zeichen und Worten, stofflich auf der Erde manifestiert betrachtet, oder ob man in ihr eine historische Person, also den menschgewordenen Logos sieht, eröffnet zahlreiche Felder, die zu diskutieren wären und die für das Verständnis der Religionen grundlegend sind.
Genauso grundlegend ist das zweite Paar: „die Bibel und der Koran“.
Da der Koran im Islam als Wort Gottes einen anderen Stellenwert einnimmt, als die Schriften der Bibel für Christen, muss auch für dieses Paar ein anderes Gegenstück gefunden werden. Christen sehen ihre heilige Schrift zwar als von Gott inspiriert, aber als von Menschen geschrieben an. Sie wurde immer wieder korrigiert, Teile wurden neu arrangiert oder gar entworfen, bis lange nach dem Tod Jesu eine Kanonisierung stattfand. Vermutlich gleicht die Bibel am ehesten den Hadithen im Islam, die in ihrer Lehre die mit der Zeit entstandenen offenen Fragen theologisch entfalten. Auch in der Bibel gibt es eine solche Entfaltung, wenn Propheten den Pentateuch interpretieren, die Evangelien das AT und die Apostelbriefe wiederum die Evangelien.
Durch die Analogien zwischen Koran und Christus auf der einen Seite, Bibel und Hadithen auf der anderen, wird einiges deutlich. Wir verstehen die Problematik, die aus einer Schrift heraus entsteht, die unwandelbar und uninterpretierbar als Manifestation Gottes vorliegt. Schon im Christentum kennen wir die Härte, die aus dem Lutherischen „Sola scriptura“, dem „nur was geschrieben steht“ bis heute in vielen christlichen Gruppen vorherrscht. Wir sehen, wie leicht man derartige Worte als Beleg für die Göttlichkeit der eigenen Meinung missbrauchen kann, und bekommen so eine Vorstellung, wie zentral der Koran im Islam sein muss.
Auf der anderen Seite ist der Koran aber auch eine Anfrage an die Muslime, ob ihre Vorstellung von einem in sich starren, nicht relationalen Monotheismus überhaupt in aller Konsequenz durchgehalten werden kann, denn diese Auffassung von Gott hat natürlich auch ihrer Konsequenzen.
Das Gottesbild
Wollen wir das Göttliche beschreiben, so fällt auf, dass der christliche Gott den Menschen wesentlich näher ist, als der muslimische. Durch seine Menschwerdung und sein Sterben hat er den gesamten Lebenslauf des gefallenen Menschen aus dessen Perspektive erfahren und so eine Nähe geschaffen, die im Islam nicht denkbar ist.
Im Islam sind Gottes Wege unergründlich. Scheinbare Widersprüche werden mit Hinweis auf das reduzierte Verständnis des Menschen oder auf die unendliche Größe Gottes beantwortet, der alles, selbst die Logik, überbietet. Ein solcher Gott mag aus menschlicher Perspektive teilweise grausam wirken, doch das gehört zu seiner Erhabenheit. Er ist schlicht an nichts gebunden und wenn er Gutes tut, dann nicht aus innerem Zwang, bzw. aus Liebe, sondern schlicht aus Barmherzigkeit. Letztlich ist es diese Barmherzigkeit, auf die man setzen kann, die sich der Muslim zum Vorbild nimmt. Sie ist nicht nur ein göttliches Attribut, sondern ein Grundzug, auf den den auch die Schöpfung zurückgeht.
Der Barmherzigkeit im Islam steht im Christentum die Liebe Gottes gegenüber. Überquellende Liebe ist hier der Schöpfungsgrund und schon von Beginn an Hinweis zur Trinität, denn Liebe will und muss sich verschenken. Die Frage, welches Konzept das weitreichendere ist, ein letztlich willkürlicher, aber im Grunde barmherziger Gott oder einer, der aus Liebe eine Welt ins Dasein setzt, in der er Menschen nach seinem Ebenbild schafft, die seine Liebe frei erwidern können, muss jeder selbst entscheiden. Implikationen und Anregungen für Diskussionen bietet auch dieses Thema reichlich.
Historische Kritik
Was also wäre sinnvoll, im interreligiösen Disput?
Zum einen sollten wir aufeinander zugehen und dem Gegenüber nicht immer gleich das Schlimmste unterstellen. Zum anderen bietet die Auseinandersetzung mit einer derart stark auftretenden Religion immer auch die Chance, sich der eigenen Wurzeln aufs Neue bewusst zu werden und den eigenen Standpunkt, sei er christlich, atheistisch oder noch ganz anders, zu vertiefen und in der Auseinandersetzung zu prüfen.
Dabei gelten aber auch für Neuankömmlinge Regeln. Die Unterordnung unter die hiesigen Gesetze ist eine Selbstverständlichkeit, aber auch die Bereitschaft zum fairen Austausch und damit auch das Ertragen von Anfragen, die man aus eigenen Reihen bekanntlich seltener erhält. Diese reichen von Fragen der Moral bis hin zu theologischen Überlegungen, beispielsweise nach alternativen Erklärungen zur Entstehung des Koran oder nach der Frage der Historizität Mohameds.
Wer in einen wissenschaftlichen Austausch treten möchte, vielleicht sogar Koranschulen eröffnen will, muss sich den hiesigen wissenschaftlichen Standards stellen und kann nicht einfach nur die eigene Überlieferung vortragen. Im Ringen nach Wahrheit muss es möglich sein, alle Fragen zu stellen, um in Offenheit gemeinsam den jeweils anderen kennen zu lernen und gemeinsam eine friedliche, bessere und freundschaftliche Koexistenz zu führen.
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