Die Würde des Menschen ist unantastbar

Was ist Würde?
Warum ist sie unantastbar?
Wie kommt sie ins Grundgesetz.

Antwort auf diese Fragen gibt der christliche Humanismus.
Es ist kein Zufall, dass es in unserer Gesellschaft keine Leibeigenschaft mehr gibt, das wir die Idee von unveräußerbaren Menschenrechten vertreten. Den Wert des Menschen über seine Stellung oder den gesellschaftlichen Nutzen zu definieren, ist in allen westlichen Zivilisationen tabu. Selbst der durch die Natur eingerichtete Schutz vor Übergriffen auf die eigene Sippe wird moralisch verworfen und mit breiter Unterstützung wird für die Öffnung der Gesellschaft auf Fremdes hin geworben.

Es ist keine Kultur überliefert, die jemals in einem Land das Konzept der Feindesliebe gekannt oder gar proklamiert hätte. Ganz im Gegenteil waren auf allen Teilen der Erde und zu allen Zeiten blutigste Rituale und brutale kriegerische Auseinandersetzungen die Regel.

Quelle des christlichen Humanismus ist die Vorstellung, dass sich im Menschen etwas zeigt, was sich den Gesetzmäßigkeiten der Naturwissenschaften nicht bis ins Letzte unterordnet; ein Funken von Freiheit, von selbstloser Liebe, kurz: Personalität.

Der Mensch ist Person. Er ist nicht bloß ein Rädchen im Getriebe, ein Individuum oder ein Subjekt, er ist mehr als die Summe messbarer Teile. Als Person verfügt er über Qualitäten, die es in der Welt sonst nicht gibt. Er kann frei entscheiden und somit in Verantwortung stehen. Er kann Werturteile fällen und sich ihnen entsprechend oder sogar entgegengesetzt verhalten. Ethische und auch ästhetische Urteile prägen sein Verhältnis zur Welt.

Die Väter des deutschen Grundgesetzes haben dieses Bild vom Menschen aufgegriffen, indem sie das, was ihn vom Individuum zur Person erhebt, die Würde, als programmgebenden Baustein in den Gesetzestext aufnahmen.

Die Würde ist somit nichts, was man jemandem zu- oder absprechen kann. Nichts, was man sich verdienen muss oder was einem erst ab einem bestimmten Reifegrad zukommt. Würde ist ein gattungsspezifisches Merkmal, welches dem Menschen grundsätzlich zukommt und über das er keinerlei Verfügungsgewalt besitzt. Konkret führt die Vorstellung von der Würde des Menschen zu drei politischen Grundanliegen.

I Personalität
Es darf keine Übergriffe auf die Person des Menschen geben, insbesondere auf das Leben. Jede Rechtsvorschrift, die das Leben des Menschen, von seiner Zeugung bis zum natürlichen Tod einer Funktion unterordnet, widerspricht der Unverfügbarkeit.

Zudem ergeben sich aus den besonderen Fähigkeiten des Menschen spezielle Rücksichten. Natürlich kann eine Ethik so nicht mehr rein funktional aufgefasst werden, nach dem Motto: Was funktioniert, ist gut.

Personen kennen das Private. Es gibt Grenzen der äußeren Verfügung, die über das Lebensrecht hinaus gehen. Jedem intuitiv vertraut, dürfte die Schamgrenze sein; ein Raum, den man nicht ohne tiefes Vertrauen öffnet. Auch in Bezug auf andere spüren wir instinktiv, wo persönliche Freiheiten berührt werden. Es gehört zu unserer Natur, dort zurückzuschrecken, wo wir die Würde des Gegenübers berührt sehen: Das beginnt beim Eigentum und reicht bis zur individuellen Selbstbestimmung in Weltanschauung und Lebensführung.

II Solidarität
Die Würde des Menschen erfahren wir nicht nur bei uns selbst, denn sie entfaltet sich in jedem Individuum der Gattung Mensch. Dies zu erkennen, verfügen wir über die Möglichkeit, andere als Person und nicht bloß als Objekt unserer Wünsche und Nöte zu begreifen. Was einen jeden von uns im Innersten ausmacht, können wir auch im anderen erkennen.

Aus dem Wissen um diese Größe erwächst Achtung. Im christlichen Humanismus gehen wir sogar einen Schritt weiter, wir erkennen Verantwortung, die uns füreinander gegeben ist. Durch die Aufgabe, uns gegenseitig zu stärken, uns bei der Entfaltung des jeweiligen Potentials zu unterstützen, als freies freundschaftliches Geschenk, erfahren wir Sinnhaftigkeit.

Das rein mechanische Zusammenspiel, ebenso die Erkenntnis, gemeinsam mehr zu erreichen oder für die gleiche Idee einzustehen, kann nicht genügen. Menschliches Streben ist immer auch Sehnsucht nach Größerem, nach etwas, das jeden weltlichen Zweck überbietet. Darum ist die Gemeinschaft der Personen ein zentrales Element in einer aufstrebenden und blühenden Gesellschaft.

III Subsidiarität
Aus Personalität und Solidarität, wenn sie in Verantwortung zusammen finden, kann der passende staatliche Rahmen nur subsidiär organisiert sein.

Subsidiarität, damit das ist das allgemeine Prinzip der Verschlankung gemeint: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Der Anspruch, den ein personales Menschenbild formuliert, ist hoch. Wenn der Mensch vom Wesen her frei ist, wenn seine Verantwortlichkeit nicht primär dem Staat gilt, sondern im Urgrund seiner Geschöpflichkeit verankert ist, wenn Solidarität nicht verordnet werden kann, sondern aus eigenem Antrieb geschehen muss, dann ist nicht viel Raum für staatliche Eingriffe.

Dennoch ist es unbestritten, dass ein Gemeinwesen nicht ohne Regeln, ohne äußere Rahmenbedingungen gelingen kann. Die Kunst hierbei ist es, diese so schlank wie möglich zu gestalten, um der persönlichen Entfaltung aller Raum zu verschaffen.

Den aktuellen politischen Debatten ist der hier skizzierte Ansatz fremd geworden.

Heute finden Diskussionen meist zwischen zwei Lagern statt. Auf der einen Seite stehen Vertreter sozialistischer Ideen, die den Menschen mit Hilfe eines starken Staates zu seinem Glück verhelfen wollen und auf der anderen Seite gibt es einen eher marktliberal geprägten Ansatz, nach dem ein schlanker Staat Freiraum schaffen müsse, damit durch selbstregulierende Kräfte am Markt ein Gleichgewicht entstehen könne.

Wir möchten dem christlichen Humanismus, wie er oben zusammengefasst ist und wie er für das Deutsche Grundgesetz Pate stand, wieder zu mehr Gehör in der öffentlichen Diskussion verhelfen. Nach unserer Auffassung hat er nicht nur wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschlands seit der Nachkriegszeit, das ihm zugrunde liegende Weltbild ist auch eng mit den ethisch-moralischen Errungenschaften der westlichen Welt überhaupt verbunden. Mit seinem Verschwinden aus der allgemeinen Wahrnehmung nimmt auch zunehmend das Grundverständnis für unsere Solidargemeinschaft ab, so dass eine immer stärker werdende Bewertung menschlichen Lebens nach funktionalen Kriterien zu beobachten ist.

Thod Verfasst von:

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.